Alle müssen sterben - Thriller (German Edition)
sterbenden Hunde nicht aus seinem Kopf. Unkonzentriert hörte er nur mit halbem Ohr, was Gordschuk zu sagen hatte.
„Wir arbeiten hier rund um die Uhr in zwei Schichten“, betete die Dolmetscherin ausdruckslos die Fakten herunter, die Zorn bereits alle kannte. Aber Gordschuk war sichtlich stolz auf das strenge Regiment, das er in der Fabrik eingeführt hatte. Überall wurden die Mädchen und Frauen von stiernackigen Vorarbeitern kontrolliert, die Kopfhörer trugen, denn der Lärm der ständig ratternden Maschinen war infernalisch. Von der Rohware bis zum fertigen Produkt lieferte Octotex alles, was sich die westlichen Textilfirmen und Designlabels nur wünschten.
Gordschuk kam jetzt auf den Ablauf zu sprechen, den er bereits mit Glanz festgelegt hatte. Deklariert wurde die fertige Streetwear für Red Zorn als Stoffmuster und Zuschnitte aus Moldawien, damit dem österreichischen Zoll nichts auffiel. Die fertige Ware wurde dann ohne umzuladen vom Containerhafen Linz mit Eisenbahnwaggons direkt in die Fabrik transportiert. Dort arbeiteten in den riesigen Hallen der ehemaligen Tabakfabrik hinter verschlossenen Türen nur ausländische Arbeiterinnen, die kein Deutsch konnten. Wenn eine Führung für einen Landesrat oder Minister anstand, gab es für die Präsentation eine Hightech-Fertigungsstraße für Limited Editions, die mit Steuergeldern errichtet worden war und auch dazu diente, Linz als innovativen Industriestandort darzustellen.
Außer dem EU-Beauftragten Hendrik Glanz kontrollierte keine weitere Instanz, ob in Linz tatsächlich gefertigt wurde oder nicht. Die Millionensubventionen flossen schon bisher reichlich, doch jetzt hatte Glanz mit Octotex eine Fabrik entdeckt, die noch billiger erzeugen konnte, und seine Gier war geweckt worden.
Zorn wollte anfangs nichts davon wissen. Den Subventionsbetrug hatte bereits sein Vater Zoltan eingefädelt und Glanz ließ ihm keine Chance.
„Wenn du dich weigerst, entziehe ich dem Standort Linz die Subventionen, dann geht deine Firma Red Zorn sofort in die Insolvenz und du ins Gefängnis“, hatte Glanz gesagt und Zorn hatte dem neuen Deal zähneknirschend zugestimmt, denn er war feige. So feige, dass er sich nicht einmal getraute, den Rundgang abzubrechen, denn in dem Lärm der Maschinen hatte er Kopfschmerzen bekommen.
Sie waren beinahe mit ihrem Rundgang fertig, befanden sich im fünften Stock von Halle A, dort, wo die riesigen Zuschneidemaschinen mit ohrenbetäubendem Lärm auf die in mehreren Lagen übereinandergeschichteten Stoffbahnen krachten und mit ihren scharfen Messern in rasender Geschwindigkeit die von den Designvorlagen vorgezeichneten Linien entlangschnitten.
Zorns Kopfschmerzen wurden stärker und er ließ den Blick gelangweilt über die langen Reihen der arbeitenden Mädchen und Frauen gleiten, die mit gekrümmten Rücken an den Maschinen saßen und darauf achteten, dass ihre Finger nicht unter die Messer kamen.
Am Rande einer dieser Reihen von konzentriert arbeitenden Frauen saß ein Mädchen, das sofort auf eine geheimnisvolle Art Zorns Aufmerksamkeit auf sich zog. Das Gesicht des Mädchens war ebenmäßig und fein geschnitten, der Schwung seiner leicht rosa angehauchten Lippen sinnlich und doch unnahbar. Ihre zarten Wangen, soeben noch bleich wie der Mond, röteten sich leicht, als sie den Blick von Zorn spürte. Die Haut ihrer langen Finger war schneeweiß und dünn wie teures Seidenpapier und wenn sie den Stoff unter die Messer schob, hatte Zorn den Eindruck, als würde sie ein imaginäres Klavierstück dabei spielen. Ihre Augen waren blau und als sie nervös ihre Arbeitskappe zurechtrücken wollte, flossen ihre Haare schwarz und schimmernd wie Ebenholz über ihre Schultern und den blauen Overall.
In diesem Augenblick fiel wie so oft der Strom aus und nur die von einem Dieselaggregat betriebene Notbeleuchtung war intakt. Einer dieser Scheinwerfer befand sich direkt über dem Mädchen und das weiße Licht der Neonröhre ergoss sich wie ein Wasserfall über seine Gestalt. In diesem strahlenden Licht wirkte das Mädchen so unschuldig und rein, dass Zorn die Tränen in die Augen traten und er heftig schlucken musste. Das Mädchen verkörperte eine Reinheit des Herzens, die er nie erreichen würde. Neben diesem Mädchen stand er mit seiner schwarzen Seele und hätte es gerne berührt, um durch diese Berührung geläutert zu werden, doch er wusste, dass es für ihn keine Läuterung gab.
Gordschuk redete in seinem harten Russisch auf ihn ein,
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