Alle muessen sterben
dich aussagen und alle werden erfahren, dass du eine Schlampe bist“, sagte das andere Mädchen, das plötzlich neben ihr herlief, anklagend.
„Du hast doch das Video gesehen. Überzeuge dich selbst, ob es dasselbe Segelboot ist, das in dem Schuppen steht.“
Ja, das ist eine gute Idee, ich werde mir das Boot in dem Schuppen ansehen! Dann habe ich Gewissheit!
Schnell wie der Wind lief sie am Ufer entlang. Sie musste wissen, ob es dasselbe Boot gewesen war, das brennende Boot, von dem hier die Rede gewesen war. Als sie die elegante Promenade erreichte, die allerdings jetzt im strömenden Regen menschenleer war, und an dem kleinen Yachthafen vorbeirannte, zog sie sich die Kapuze ihrer grünen Regenjacke noch tiefer ins Gesicht, fasste ihre langen roten Haare im Nacken zusammen und bemühte sich ganz normal zu gehen, um nicht aufzufallen.
„Du musst dich ganz normal verhalten! Die Leute sehen schon nach dir! Du kannst nun einmal nicht reden und bist zurückgeblieben! Aber das ist keine Entschuldigung für dein Fehlverhalten!“ Das andere Mädchen war unbestechlich und wies sie schonungslos auf jeden Fehler hin. Und Chloe machte viele Fehler.
Chloe konzentrierte sich so sehr darauf, nicht aufzufallen, dass sie plötzlich vergessen hatte, wozu sie überhaupt hierher gekommen war und den schützenden Wald verlassen hatte, wo Rufus ungeduldig auf sie wartete. Doch dann stand sie vor dem Bootsschuppen und das brennende Boot tauchte wieder in ihrem Gedächtnis auf. Vorsichtig schlich sie um den hölzernen Schuppen, dessen altes, ausgedörrtes Holz sicher gut brennen würde. Seitlich vom Ufer entdeckte sie eine kleine Tür, die nur mit einem einfachen Holzpflock verschlossen war. Sie war gerade dabei, die Tür zu öffnen, um endlich die Gewissheit zu haben, dass es sich um dasselbe Boot handelte, da hörte sie hinter sich ein Geräusch und sofort danach eine Stimme:
„Halt, Polizei! Was machen Sie hier?“
Als sie sich umwandte, sah sie einen uniformierten Polizisten, der sie argwöhnisch betrachtete und langsam auf sie zukam. Jetzt wäre es wichtig gewesen, kurz und präzise zu antworten. Die Worte, ja, die Worte lagen ihr auf der Zunge. Es wäre so einfach: Wollte mich nur einmal umsehen, Herr Inspektor. Ich bin eine harmlose Touristin! Aber sie schaffte es nicht, diese Sätze aus ihrem verdammten Mund zu bekommen, deshalb schwieg sie.
„Hören Sie mich nicht! Was haben Sie hier zu suchen? Weisen Sie sich bitte aus!“
Das klang wie ein Befehl und als der Polizist noch näher kam, schob sie sich an der Holzwand entlang weiter nach hinten, sah einen Aschenbecher und lange Streichhölzer auf einem Metallfass liegen.
„Wenn du hier alles niederbrennst, dann bist du ganz schön dumm!“ Das andere Mädchen verdrehte genervt die Augen und wies mit seinem Arm nach hinten. „Verschwinde durch die kleine Falltür und sei bloß still!“
Der Polizist lief auf sie zu, doch Chloe war viel schneller. Auf allen Vieren, wie sie es von Rufus gelernt hatte, schlüpfte sie durch die Falltür in dem Bretterzaun und stand auch schon wieder draußen auf der Straße im strömenden Regen. Sie lief die Promenade am Traunsee entlang, bis sie den Waldrand erreicht hatte, wo Rufus mit seinem gesträubten Fell auf sie wartete und sie starr mit seinem grünen Auge beobachtete. Sie packte ihn am Genick und zog ihn auf einen verschlammten Weg in den Wald hinein, wo es still war.
Doch das andere Mädchen stellte sich ihr in den Weg und schüttelte tadelnd den Kopf. „Du hättest alles schon viel früher erledigen müssen! Ich bin mir nicht sicher, ob du noch die Kraft dazu hast!“
Ich habe die Kraft, ich habe die Kraft, jawohl, ich habe die Kraft. Ich bin nicht dumm!
„Doch, du bist dumm! Du kannst nicht sprechen! Und du bist eine Schlampe! Das hat Mutter gesagt und Mutter hatte immer recht! Hast du dir das Video angesehen?“
Nein, ich trau mich nicht! Ich will es nicht sehen, denn ich will nicht mehr daran erinnert werden!
„Aber du hast einen Auftrag, den du niemals vergessen darfst.“
Ich muss alles rächen, so lautet doch mein Auftrag!
„Gut, dass du deinen Auftrag nicht vergessen hast. Wiederhole den Auftrag!“
Die Wurzel des Bösen ausrotten! Alle müssen sterben!
„Genau! Alle müssen sterben!“
17. In der schwarzen Halle
Tony Braun fuhr von der Abzweigung über die wie immer heillos verstopfte Stadtautobahn zurück in die schwarze Halle, die ihren Namen der schwarzen Teerpappe verdankte, mit der die Wände
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