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Alle muessen sterben

Alle muessen sterben

Titel: Alle muessen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B. C. Schiller
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gesehen habe, ist mir übel geworden. Ich wurde in der Krankenstation verarztet und Mamutschka bekam Schmerzensgeld. Ich blieb genau zwei Tage auf der Krankenstation, dann landete ich hier bei der Lauge, die mir langsam die Lunge verätzt und von der ich sicher Krebs bekomme. Aber jetzt habe ich angefangen, mitzudenken und merke mir, wie das ganze System hier funktioniert.“
    Polina begann am ganzen Körper zu zittern und je länger sie auf ihre langen, schmalen Finger starrte, desto heftiger wurde das Zittern, schließlich schlug sie die Hände vor ihr Gesicht und versuchte nur Klaviermusik zu hören und zu spüren, wollte nur noch eintauchen in die Musik. Unsanft wurde sie von Ronja geschüttelt und wieder zurück in den Höllenlärm geholt.
    „Achtung, da hinten kommt ein Vorabeiter! Wir müssen zurück zu den Stoffballen.“ Während sie geduckt zwischen den riesigen Trockenautomaten in das Stofflager huschten, drehte sich Ronja noch einmal zu Polina um und sagte genau in dem Moment, als der Maschinenlärm wegen einer durchgebrannten Sicherung verebbte:
    „Betrachte ein letztes Mal deine schönen Hände, denn ab morgen musst du um jeden deiner Finger kämpfen.“

16. Das andere Mädchen

    Gogol war der Freund von Chloe und vielleicht einen Meter fünfzig groß, hatte einen Wasserkopf, eine riesige poröse Knollennase und einen spitz hervorstehenden Buckel. Seine Finger waren an den Gelenken durch Gichtknoten entstellt und seine Füße waren platt und breit wie die einer Ente. Die Farbe seines runzeligen, verschlagen wirkenden Gesichts war grau und aus seinen Ohren wucherte grünliches Moos.
    Als Chloe nach dem Schuss, der sie verschreckt hatte, wieder vorsichtig zwischen den Büschen auf den Trampelpfad spähte, war der Mann verschwunden und sie wieder in Sicherheit. Schnell huschte sie zurück in den Park, so wie sie das immer schon gemacht hatte, solange sie denken konnte. Wie immer traf sie sich hier mit Gogol und nach einem scheuen Begrüßungskuss verharrte sie andächtig vor diesem vor vielen Jahren aus bröseligem Sandstein erschaffenen hässlichen Zwerg.
    Du wirst mich immer beschützen, Gogol, dachte sie und strich sanft über den vom Moos überwucherten Buckel des Zwerges. Sie betrachtete sein grotesk verzerrtes Gesicht mit den leeren Augen, die verwittert ins Nichts starrten. Du glaubst nicht alles, was sie sagen!
    Manchmal hatte sie sich in die sumpfige Wiese gesetzt und für diesen steinernen Zwerg alles aufgeschrieben, was sie in den Nächten geträumt hatte, wenn sie schweißnass aufgewacht war und wusste, dass es vor den Gedanken und vor allem vor Mutter kein Entrinnen gab. In diesen düsteren Stunden hatte ihr Gogol die Kraft gegeben, weiterzumachen und sich nicht komplett dem anderen Mädchen auszuliefern und verrückt zu werden.
    Tapp, tapp, tapp, heute klangen ihre Schritte über die sumpfige Wiese unnatürlich laut. Diese Geräusche würden die anderen Bewohner auf sie aufmerksam machen und alle würden sich wissend anblicken, tuschelnd die Köpfe zusammenstecken, denn jeder wusste, dass sie schuld an der Katastrophe gewesen war.
    Chloe setzte sich auf den feuchten, modrig riechenden Boden und zog ihr Handy aus der Tasche ihrer grünen Regenjacke. Der Psychiater hatte ihr geraten, alles zu filmen, damit sie zwischen Wirklichkeit und Einbildung unterscheiden und sich später auch noch daran erinnern könne. Sie war nicht freiwillig zu ihm gegangen, sondern auf Drängen des psychosozialen Dienstes des Heims, in dem sie bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr gelebt hatte. Sie hatte schnell begriffen, dass sie kooperativ sein musste, um mit achtzehn wieder zurück in ihr Haus zu dürfen. So war es auch. Therapeut, Sozialarbeiterin und Psychiater waren begeistert von ihren Fortschritten.
    Auf dem verschmutzten Display ihres Handys sah sie die letzten Stunden distanziert wie im Kino: das verbeulte Auto auf der Straße. Ein oranges Graffiti auf der Fahrertür, das sie an etwas erinnerte. Zoom durch das Fenster. Der Müll, das Foto. Ende.
    Der etwas verlebt aussehende Polizist mit den schwarzen Haaren und den schönen braunen Augen läuft ihr durch den Regen entgegen, fast wie ein Liebhaber, der seine Geliebte nach langer Trennung wieder in die Arme schließen möchte. Doch da taucht Rufus auf und reißt ihn zu Boden. Jemand schießt mit einer Pistole und Rufus verschwindet wieder im Dickicht.
    „Die beiden Männer sind von der Polizei! Sie sind dir bereits auf den Fersen! Mutter wird auch gegen

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