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Alle muessen sterben

Alle muessen sterben

Titel: Alle muessen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B. C. Schiller
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Lohnentzug, Versetzung, was weiß ich“, murmelte er und widmete sich demonstrativ wieder den Papieren, mit denen sein Schreibtisch überhäuft war.
    Als sein Sekretär verschwunden war, nahm Gordschuk ein ausländisches Prepaid-Handy aus seiner Sakkotasche und wählte eine Nummer.
    „Bleibt es dabei, dass wir beide über den Auftrag von Red Zorn verhandeln?“, fragte er mit angespannter Stimme. Während er zuhörte, nickte er ständig.
    „Was ist mit den zugesicherten EU-Subventionen?“, hakte er nach und runzelte die Stirn. Doch die Antwort schien ihn zu befriedigen, denn seine Miene hellte sich schlagartig auf und als er das Handy wieder in seine Sakkotasche steckte, wurde sein Gesicht zu einer einzigen grinsenden Fratze. Bald, sehr bald sogar würde Trajan Gordschuk reich sein, so reich, dass er sich die Welt würde kaufen können.
    *

    Im dritten Stockwerk von Halle A waren die Arbeiterinnen damit beschäftigt, in großen Becken Denimstoffen, aus denen später Jeans geschneidert würden, einen angesagten Used Look zu verpassen. Die Frauen schleppten die riesigen Stoffballen zu den Becken, die mit einer ätzenden Lauge gefüllt waren, die ständig Blasen warf und die Luft vergiftete. Mit bloßen Händen warfen sie die Stoffbahnen in die dampfende Lauge, mussten ohne Handschuhe oder Gesichtsmasken die von der Säure bearbeiteten Stoffe nach einer genau berechneten Zeit wieder aus den Becken ziehen, was natürlich nicht ohne Zwischenfälle funktionierte.
    Immer wieder kam es vor, dass Arbeiterinnen zusammenbrachen und mit Verätzungen von Atemwegen und Lunge in die Krankenstation gebracht wurden. Dort gab man ihnen Jodtabletten, die so gut wie nichts bewirkten, und schickte sie wieder zurück an ihre Arbeitsplätze. Manchmal kam es auch vor, dass eine der Frauen nicht mehr aus ihrer Ohnmacht erwachte, dann wurden Name und Nummer aus den Akten getilgt, die Hinterbliebenen bekamen eine lächerliche Abfindung und alles ging wie immer seinen gewohnten Weg.
    An diesem verregneten Tag kam der Sekretär des Direktors in den dritten Stock und klopfte Polina auf die Schulter, die gerade dabei war, einen riesigen Stoffballen zu einem Färbebottich zu rollen.
    In dem ohrenbetäubenden Lärm der Maschinen konnte sie den Mann nur schlecht verstehen, aber ihr war sofort klar, dass ihre Beschwerde der Auslöser für seinen Besuch sein musste. Polina hatte langes schwarzes Haar, das wie Ebenholz glänzte, das sie aber unter einem Kopftuch verborgen hatte. Ihre Augen waren intensiv blau und ihre Haut weiß wie Papier. Jetzt allerdings waren ihre Wangen fleckig von der säurehaltigen Luft und die geröteten Augen tränten ständig. Ihre langen schlanken Finger waren rot und rissig und als sie versuchte, die Finger zu einer imaginären Klaviermusik zu bewegen, gelang ihr das nicht, denn ihre Fingerglieder bewegten sich wie eingerostet. In diesem Zustand konnte sie unmöglich die Goldberg-Variationen spielen, ja nicht einmal einen Chopin.
    Doch zu mehr Gedanken kam sie nicht, denn der Sekretär des Direktors riss ihr das Kopftuch herunter und packte sie an ihren langen schwarzen Haaren. Er zerrte sie durch die Halle nach draußen, vorbei an den Arbeiterinnen, die es nicht wagten, auch nur einen Blick auf Polina zu werfen, sondern emsig weiterarbeiteten, Stoffbahnen in die Lauge tauchten und die nassen, ätzenden Stoffteile in riesige Trockenmaschinen wuchteten, die mit einem ohrenbetäubenden Lärm anfingen zu rotieren.
    Auf der Betonrampe im Freien dröhnten Polina noch die Ohren von dem Lärm und das Atmen fiel ihr schwer. Der Sekretär verpasste ihr eine Ohrfeige, die so stark war, dass sie das Gleichgewicht verlor und von der Rampe hinunter in den Schlamm fiel. Benommen versuchte sie sich aufzurichten, rutschte aber in dem Schlamm aus und fiel erneut in den Schmutz, während der Sommerregen auf sie niederprasselte. Aus den Augenwinkeln sah sie den Sekretär oben auf der Rampe stehen und mit dem Finger auf sie zeigen.
    „Der Vorarbeiter hat gesagt, dass du nicht bei der Lauge arbeiten willst, weil du dir dabei die Hände verätzt. Das ist Arbeitsverweigerung.“
    „Aber ich brauche meine Hände zum Klavierspielen!“, rief Polina und verwünschte sich sofort für diese Entgegnung, denn das Gesicht des Sekretärs verzerrte sich zu einem höhnischen Grinsen.
    „Ach, du bist also etwas Besseres als die anderen fleißigen Arbeiterinnen, die unsere schöne Fabrik am Laufen halten? Du bist eine Künstlerin und hast Angst um deine

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