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Alle muessen sterben

Alle muessen sterben

Titel: Alle muessen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B. C. Schiller
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redete in seinem harten Russisch auf ihn ein, lachte derb und die Dolmetscherin wurde plötzlich knallrot, als sie stockend übersetzte.
    „Sie interessieren sich für das Mädchen, Herr Zorn. Das ist Polina, unsere Klavierspielerin, ein wahres Wunderkind. Der Direktor würde sich freuen, es ihnen für heute Nacht zu überlassen, damit Sie mit dem Mädchen Sex haben können!“
    „Sagen Sie dem Direktor, dass er ein perverses Schwein ist und ich ihm am liebsten eine Ohrfeige verpassen würde.“
    Wieder wurde die Dolmetscherin knallrot, drehte sich zu Gordschuk und übersetzte, doch Zorn merkte, dass sie etwas ganz anderes sagte, denn Gordschuk nickte bloß gleichgültig und winkte ihnen, weiterzugehen.
    Zurück blieb das Mädchen unter dem weißen Licht, das seine langen feinen Finger in seinem Schoss verschränkt und die Augen niedergeschlagen hatte. Ihre langen dunklen Wimpern wirkten auf Zorn wie ein Vorhang, der alles Böse von ihren Augen und ihrer Seele fernhielt, sodass sie nur die Schönheiten des Lebens sehen und sich auf diese Weise die Reinheit des Herzens bewahren konnte.
    Mittlerweile hatten hektische Vorarbeiter die durchgebrannte Sicherung ausgetauscht und mit einem satten Brummen begannen die Zuschneidemaschinen wieder zu arbeiten.
    „Das Tempo erhöhen!“, brüllte Gordschuk und Zorn verstand auch ohne Dolmetscherin, was er gesagt hatte, denn die Maschinen begannen plötzlich immer schneller zu laufen. Hektisch und mit hochroten Köpfen schoben die Arbeiterinnen Stoffbahn um Stoffbahn unter die Zuschneidemaschine und Glanz hielt den Daumen in die Höhe und nickte anerkennend. Zorn hingegen hatte nur Augen für das Mädchen, dessen schneeweiße Wangen sich durch die hektische Arbeit mit einer zarten Röte färbten und das natürlich spürte, dass er es noch immer beobachtete.
    Zack, zack, zack zerteilten die Messer den weißen Stoff, der sich plötzlich wie mit einem Batikmuster rot färbte. Die rote Farbe breitete sich langsam auf den endlos langen weißen Stoffballen aus wie ein Fluss, der über die Ufer getreten war und jetzt alles überschwemmte.
    Aber es war kein gefärbtes Wasser und auch kein neues Design, das bereits früher auf die weiße Baumwolle aufgetragen worden war, es war Blut. Und dieses Blut strömte ungehindert aus Polinas rechter Hand, die jetzt merkwürdig unfertig aussah, da ihr zwei Finger fehlten.
    Zorn war wie erstarrt, in seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken: Einerseits tat ihm das Mädchen unendlich leid, der Verlust der Finger war eine Katastrophe für eine angehende Pianistin. Auf der anderen Seite musste man die Gunst der Stunde nützen. Das Mädchen war schön und rein wie ein Engel und hatte ein tragisches Schicksal erlitten. Jetzt hatte er die einmalige Chance, seinem Vater und Xenia zu beweisen, dass er fähig war, eine eigene Entscheidung zu treffen. Er würde das Mädchen auf eigene Kosten nach Österreich bringen lassen und seine für ihn selbstlose Aktion in den Medien als großen humanitären Akt darstellen. Dafür würde er endlich einmal geliebt werden.
    Die Zuschneidemaschine war in der Zwischenzeit automatisch zum Stehen gekommen und Polinas Finger lagen auf der anderen Seite der Messer und wirkten auf der glatten weißen Baumwolle wie Designobjekte. In Polinas Reihe war es totenstill. Gordschuk wollte schnell weitergehen, doch Zorn blieb noch immer wie angewurzelt vor ihr stehen, sein Blick wanderte immer zwischen ihrem Gesicht und der verstümmelten Hand hin und hier. Alle Augen waren auf Polina gerichtet, die mit verklärtem Lächeln die Goldberg-Variationen summte, aus ihren Fingerstümpfen spritzte noch immer Blut auf den blütenweißen Stoff und breitete sich darauf wie eine Blume aus.
    Zwei Sanitäter rannten mit einer Bahre den Gang entlang, packten Polina an den Schultern und zogen sie von der Zuschneidemaschine weg. Erst jetzt löste sich ihre Anspannung und sie begann zu schreien und zu kreischen, hielt ihre verstümmelte Hand in das harte Neonlicht und das rote Blut lief noch immer über ihre weiße Haut.
    „Glanz!“, brüllte Zorn. „Ich kümmere mich um das Mädchen! Wir lassen Polina nach Österreich bringen!“
    „Bist du verrückt! Was interessiert uns eine dieser Arbeiterinnen!“, fauchte Glanz und wollte Zorn weiterziehen. Doch dieser stieß ihn zur Seite, drängte sich zwischen die Sanitäter und das Mädchen, riss sich die Krawatte vom Hals, wickelte sie um die blutigen Fingerstümpfe, strich Polina sanft über das Haar

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