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Alle sieben Wellen

Titel: Alle sieben Wellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Glattauer
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Das hätten wir nicht tun dürfen. Du warst so zornig, so verbittert, so traurig und trotzdem so, so, so (...). Dein Atem über meinem Gesicht, in meinen Augen, der ist mir bis unter die Netzhaut gegangen. Kann Nähe noch näher sein? Wie oft habe ich davon geträumt, immer die gleichen Bilder. So fest umschlungen zu sein, und dann für immer zu erstarren (...). Und nur noch deinen Atem zu spüren.
    Aber jetzt höre ich besser auf zu schreiben. Ich bin ein bisschen betrunken, der Wein ist stark, egal ob mit oder ohne Alkohol. Emmi, noch fünfzehn Nächte, ich habe sie gezählt,dann kommt Pamela. Dann beginnt ein neues Leben, du sagst Abschnitt, ich sage Leben. Aber ich bin nicht wertkonservativ, nur ein bisschen. Dein Leben sind Bernhard und die Kinder. Schneide es nicht ab. Wer nur in Abschnitten lebt, dem fehlt die Spannweite, die Tragweite, der Sinn des Ganzen. Der lebt in laschen, kleinen, nichtssagenden Stücken. Bei dem kommt am Ende alles zu kurz. Prost!
    Und jetzt, egal, jetzt küsse ich dich, mein Tagebuch. Sieh mich bitte nicht so an!!! Und verzeihe mir solche E-Mails. Ich habe derzeit nicht meine beste Phase, auch nicht meine zweitbeste. Und ich bin ein bisschen betrunken. Nicht viel, aber ein bisschen. So. Stopp. Aus. Senden. Ende, nicht ENDE, nur Ende, dein Leo.
     
    Am nächsten Morgen
    Betreff: Noch 14 Nächte
    Lieber Leo, deine Trunkenheitsbotschaften haben es wirklich in sich! Das war mehr als ein Redeschwall, das war ein richtiger Sturzbach, du solltest nicht immer so viel zusammenkommen lassen. Aber wenn dein Gefühlsschrank birst und dir die Zeilen in Rotweinbädern hinausfließen, bist du manchmal ein echter Philosoph. Deine Ausführungen über Wertkonservativismus und Lebensabschnitte – davon könnten sich die alten Lehrmeister noch etwas abschauen. Ich weiß gar nicht, wo ich beginnen soll, darauf einzugehen. Ich weiß ja nicht einmal, ob ich damit beginnen soll. Zahlt es sich denn noch aus für vierzehn Nächte? Ich werde dazu meine Therapeutin befragen. Und du krieg einmal die restlichen Volumprozent aus dem Kopf! Alles Liebe, dein niemals stillhaltendes Tagebuch.
     
    Neun Stunden später
    Betreff: Unser Programm
    Guten Abend, Leo. Liest du schon wieder gerade Buchstaben? (Erkennst du darin mein Gesicht?) Dann richte ich in meiner Funktion als Tagebuch folgende Anfrage bezüglich unseresProgramms für die nächsten und möglicherweise letzten zwei Wochen an dich: Was wollen wir tun?
    1.) Wollen wir schweigen, damit du dich in Ruhe auf »Pam« vorbereiten kannst? (Ich zitiere: »Sie liebt mich, wir haben uns entschieden, wir werden glücklich sein.« Persönliche Zwischenbemerkung: tolle Entscheidung!)
    2.) Wollen wir weiterschreiben, als wäre zwischen dir und deinem Tagebuch nie etwas gewesen (und könnte allein deshalb auch nichts mehr sein)? Und pünktlich mit dem Eintreffen der Maschine aus Boston enden die dialogischen Aufzeichnungen, damit du dich endlich auf dein weiteres Leben konzentrieren kannst, während ich mich in meinen nächsten Abschnitt stürze oder den vorangegangenen wegen mäßigen Erfolges wiederhole?
    3.) Oder wollen wir uns noch einmal treffen? Du weißt schon: eines unserer berühmten letzten Treffen. Mit dem Ziel, mit dem Ziel, mit dem Ziel (...). Ohne Ziel. Einfach so. Wie nannten wir es im vergangenen Sommer? – »Ein würdiger Abschluss.« Wollen wir endlich würdig und vor allem wirklich abschließen? Bedenke, so reif wird die Zeit dafür wohl nie mehr sein.
     
    Am nächsten Abend
    Betreff: Noch 13 Nächte
    Hallo Leo, wie ich sehe, hast du dich ohne Absprache mit deinem Tagebuch für 1.) entschieden. Oder denkst du noch nach? Oder bist du einfach nur nüchtern und still? Komm, sag schon! Emmi.
     
    Zwei Stunden später
    AW:
    Nüchtern, still und ratlos.
     
    Zehn Minuten später
    RE:
    Wenn du nüchtern bist, trinke. Wenn du still bist, rede. Wenn du ratlos bist, frag mich. Dazu ist dein Tagebuch da.
     
    Fünf Minuten später
    AW:
    Was soll ich dich fragen?
     
    Sechs Minuten später
    RE:
    Frag mich am besten, was du wissen willst. Und wenn du so ratlos bist, dass du nicht weißt, was du mich fragen sollst, weil du nicht weißt, was du wissen willst, so frag mich eben etwas anderes. (Solche Sätze habe ich von dir gelernt!)
     
    Drei Minuten später
    AW:
    Okay, Emmi. Was hast du an?
     
    Eine Minute später
    RE:
    Bravo, Leo. Dafür, dass du nicht weißt, was du wissen willst, war es eine gute, berechtigte, um nicht zu sagen: brennende Frage!
     
    50 Sekunden

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