Alle sieben Wellen
später
AW:
Danke. (Solche Fragen habe ich von dir gelernt!) Also, was hast du gerade an?
Fünf Minuten später
RE:
Was erwartest du dir als Antwort? Gar nichts? Oder etwa gar: »Nichts!«? Nun, leider, ich hoffe, du kannst mit der Wahrheitleben: Es ist ein graues Flanellpyjamahemd, bei dem mir die dazu passende Hose abhandengekommen ist, die ich nun durch eine hellblaue ersetzt habe, die mir immer runterrutscht, weil der Gummi gerissen ist, die mir aber leidtut, weil sie alleinstehend ist, weil das zugehörige Oberteil in der Waschmaschine bei neunzig Grad von ihr gegangen ist, ich glaube, es geschah in einer nebeligen Novembernacht. Um mir selbst den Anblick auf meine Kombination zu ersparen, trage ich darüber einen kaffeebohnenbraunen Frotteebademantel von Eduscho. Fühlst du dich jetzt besser in deiner Haut?
15 Minuten später
AW:
Und wenn wir uns noch einmal treffen, was hättest du dir da vorgestellt, Emmi?
Drei Minuten später
RE:
Na siehst du, bei dieser Frage ist schon ein deutlicher Qualitätssprung zu beobachten. Mein Outfit hat dich offenbar inspiriert.
Zwei Minuten später
AW:
Also, was hättest du dir vorgestellt?
Acht Minuten später
RE:
Leo, du kannst ruhig »hast« sagen und brauchst nicht zwanghaft »hättest« zu verwenden. Ich weiß auch so, dass du weit davon entfernt bist, mich noch ein viertes Mal zu treffen. Und das verstehe ich auch. Du hast im Vorfeld von »Pam« bestimmt Angst vor einer weiteren nächtlichen Sexualattacke meinerseits, der du dich nicht erwehren können würden wolltest. (Auch ich mag Konjunktive!) Ich darf dich beruhigen: So »hätte« ich es mir diesmal nicht vorgestellt, mein Lieber.
Eine Minute später
AW:
Sondern wie?
50 Sekunden später
RE:
So wie du es dir vorstellst.
30 Sekunden später
AW:
Ich stelle mir aber nichts vor, Emmi, zumindest nichts Bestimmtes.
20 Sekunden später
RE:
Das entspricht exakt meiner Vorstellung.
50 Sekunden später
AW:
Ich weiß nicht, liebe Emmi. Ein »letztes« Treffen, ohne dass sich einer von uns beiden etwas darunter vorstellen könnte, kann ich mir, offen gestanden, irgendwie nicht gut vorstellen. Ich glaube, wir sollten es besser beim Schreiben belassen. Da können wir mit unseren Vorstellungskräften großzügiger umgehen.
40 Sekunden später
RE:
Na siehst du, lieber Leo. Jetzt wirkst du gar nicht mehr so ratlos. Auch nicht still. Nur noch nüchtern, leider. Ich werde mich nie daran gewöhnen. Gute Nacht, schlaf gut. Ich schalte ab.
30 Sekunden später
AW:
Gute Nacht, Emmi.
Am nächsten Abend
Betreff: Noch zwölf Nächte
Hallo Leo, meine Therapeutin warnt mich ausdrücklich und eindringlich davor, dich in dieser Phase (die weder deine beste noch meine zweitbeste ist) noch einmal zu treffen. Habt ihr euch abgesprochen?
Zwei Stunden später
Betreff: Stimmt’s?
Du bist da. Stimmt’s?
Du hast auch die E-Mail gelesen. Stimmt’s?
Du weißt nur nicht mehr, was du sagen sollst. Stimmt’s?
Du weißt nämlich nicht mehr, was du mit mir anfangen sollst. Stimmt’s?
Du denkst dir: Ach, wären diese zwölf Nächte nur schon vorüber! Stimmt’s?
40 Minuten später
AW:
Liebe Emmi, so schwer es mir fällt, es zuzugeben: Du hast leider mit jedem Wort Recht!
Drei Minuten später
RE:
Das ist bitter!
Eine Minute später
AW:
Nicht nur für dich!
50 Sekunden später
RE:
Hören wir auf?
30 Sekunden später
AW:
Ja, das wäre das Beste.
30 Sekunden später
RE:
Jetzt gleich?
40 Sekunden später
AW:
Ja, von mir aus gleich!
20 Sekunden später
RE:
Okay.
15 Sekunden später
AW:
Okay.
30 Sekunden später
RE:
Du zuerst, Leo!
20 Sekunden später
AW:
Nein, du zuerst, Emmi!
15 Sekunden später
RE:
Wieso ich?
25 Sekunden später
AW:
Es war deine Idee!
Drei Minuten später
RE:
Aber du hast mich inspiriert, Leo! Du inspirierst mich seit Tagen! Du und deine Stille. Du und deine Nüchternheit. Du und deine Ratlosigkeit. Du und dein: »Es ist besser so.« Du und dein: »Es ist besser, wenn wir nicht mehr (...).« Du und dein: »Ich glaube, wir sollten es belassen.« Du und dein: »Ach, wären diese zwölf Nächte nur schon vorüber!«
Vier Minuten später
AW:
Den letzten Satz hast du mir in den Mund gelegt, meine Liebe.
Eine Minute später
RE:
Wenn man dir die Sätze nicht in den Mund legt, kommt überhaupt keiner mehr heraus, mein Lieber!
Drei
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