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Alle sieben Wellen

Titel: Alle sieben Wellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Glattauer
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stellen wir uns heute keine Fragen mehr? Ist das Spiel zu Ende? Bist du sauer? (Drei Fragezeichen, eine Frage, Quelle der Regelauslegung: Emmi Rothner.)
     
    Zwei Stunden später
    Betreff: Meine Frage
    Leo, was ist die Wahrheit über uns?
     
    15 Minuten später
    AW:
    Die Wahrheit über uns? Du hast eine Familie, die dir am Herzen liegt, einen Mann, der dich liebt, und eine Ehe, die noch zu retten ist. Und ich habe eine Beziehung, auf die sich aufbauen lässt. Jeder von uns beiden hat – Zukunft. Nur wir beide, gemeinsam, wir haben sie nicht. Das ist, realistisch betrachtet, die Wahrheit über uns, liebe Emmi.
     
    Drei Minuten später
    RE:
    Ich verabscheue dich, wenn du realistisch betrachtest!
    Im Übrigen war das soeben nicht die Wahrheit ÜBER uns, sondern die Wahrheit OHNE uns. Und du wirst es nicht glauben, Leo: Die kannte ich schon! Sie steckt seit zwei Jahren in jeder fünften deiner E-Mails. So, ich muss fort. Ich gehe mit Philip essen. Philip? Er ist Webdesigner, er ist jung, er ist Single, er ist witzig, er verehrt mich, und mir ist gerade danach, nicht unbedingt nach ihm, aber nach seiner Verehrung. Das ist die Wahrheit über mich und Philip. Falls du vorhast, mich morgen zu fragen, wie es mit Philip war, dann darf ich dir bereits heute verraten: sehr entspannt. Schönen Abend.
     
    Sechs Stunden später
    AW:
    Hallo Emmi, es ist vier und ich kann nicht schlafen. Meine Frage für den angebrochenen Tag: Sehen wir uns noch?
     
    Am Vormittag
    Betreff: Wozu?
    Lieber Leo, die Frage fällt dir relativ spät ein. Vor nicht einmal zwei Wochen warst du noch auf radikalem Anti-Treff-Kurs. Ich zitiere: »Ein Treffen, ohne dass sich einer von uns beiden etwas darunter vorstellen könnte, kann ich mir, offen gestanden, irgendwie nicht gut vorstellen.« Warum jetzt auf einmal? Du wirst dir nicht plötzlich doch noch »etwas« oder gar »etwas darunter« vorstellen können? Leo, wenn ich richtig gezählt habe, fehlen »uns« noch drei Tage auf »Pam«. Drei Tage für das Finden einer allfälligen anderen als der von dir festgehaltenen »realistischen« Wahrheit über uns. Eine Wahrheit, die deiner Freundin aus Boston, die nichts über uns weiß, wahrscheinlich nicht gut bekommen würde, weshalb sie auch nichts darüber erfahren dürfte. Uns blieben also zwei letzte Abende für ein Geheimtreffen. Leo, wozu? Ja, das ist meine heutige Frage, meine drittletzte sozusagen: WOZU?
     
    20 Minuten später
    AW:
    Wir müssen uns nicht am Abend treffen, Emmi. Ich hatte eher an eine Nachmittagsstunde im Kaffeehaus gedacht.
     
    30 Sekunden später
    RE:
    Ah so. Ja. Klar. Leo! Nett. Wozu?
     
    40 Sekunden später
    AW:
    Damit ich dich noch einmal sehen kann.
     
    30 Sekunden später
    RE:
    Was hättest du davon?
     
    50 Sekunden später
    AW:
    Ein gutes Gefühl.
     
    Sieben Minuten später
    RE:
    Das freut mich zwar, aber es wäre leider das gegenteilige Gefühl von meinem. Dich zu sehen: okay. Dich »noch einmal« zu sehen, noch ein letztes Mal: scheiße! Leo, seit eineinhalb Jahren sehen wir uns »vielleicht noch ein letztes Mal«. Seit eineinhalb Jahren verabschieden wir uns voneinander. Wir scheinen uns eigens dafür kennengelernt zu haben, uns voneinander zu verabschieden. Leo, ich will nicht mehr. Ich bin verabschiedungsübersättigt, verabschiedungsüberdrüssig, verabschiedungsgeschädigt. Bitte, sei einfach weg. Schick mir deinen Systemmanager, auf den ist wenigstens Verlass, der meldet sich konsequent nach zehn Sekunden zurück, um mich auf seine spröde Art zu begrüßen. Aber du hör auf, dich ständig von mir zu verabschieden. Und gib mir nicht auch noch das beschämende Gefühl, du könntest dir gar nichts Schöneres vorstellen, als mich »noch ein letztes Mal« zu sehen.
     
    Neun Minuten später
    AW:
    Ich habe nicht gesagt: »Noch ein letztes Mal sehen«. Ich habe gesagt: »Noch einmal sehen.« Und selbst das klingt per E-Mail dramatischer als es ist. Von Angesicht zu Angesicht würdest du das Gefühl nicht als beschämend empfinden. Du kannst mir doch ohnehin nicht verlorengehen. Ich habe so viel von dir in mir. Ich habe das immer als Bereicherung empfunden. Jeder Emmi-Sinneseindruck ist eine Gutschrift. Abschied von dirhieße für mich: nicht mehr an dich zu denken, nichts mehr dabei zu fühlen. Glaube mir, ich bin meilenweit davon entfernt, mich von dir zu verabschieden.
     
    Fünf Minuten später
    RE:
    Leo, das sind ja perfekte Landebedingungen für die Frau, mit der du dir deine Zukunft vorstellen kannst. Arme

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