Alle sieben Wellen
Messecafé Huber.
30 Sekunden später
RE:
Und du willst direkt unter dem großen Luster sitzen.
40 Sekunden später
AW:
Mir ist es egal, wo ich sitze.
20 Sekunden später
RE:
Mir nicht.
40 Sekunden später
AW:
Wo willst du lieber sitzen, Emmi, unter dem Luster oder in einer schummrigen Nische?
30 Sekunden später
RE:
Das kommt darauf an, mit wem.
20 Sekunden später
AW:
Mit mir.
20 Sekunden später
RE:
Mit dir? Habe ich mir noch nicht überlegt, mein Lieber.
30 Sekunden später
AW:
Dann überlege es dir einmal, meine Liebe.
Eine Minute später
RE:
Okay, schon überlegt. Mit dir würde ich gerne auf halbem Wege zwischen den Nischenplätzen und den Tischen unter dem großen Luster sitzen, dort, wo das Licht von schummrig auf taghell übergeht. Am Donnerstag, um 16.30 Uhr?
50 Sekunden später
AW:
Donnerstag, 16.30 ist perfekt!
Fünf Minuten später
RE:
Ach, und was erwartest du dir von unserem eins, zwei, drei (!), vier, fünften Treffen?
Zwei Minuten später
AW:
So wie jede Begegnung anders war als jede andere, erwarte ich mir, dass auch diese Begegnung anders sein wird als alle unsere bisherigen.
50 Sekunden später
RE:
Weil wir jetzt Freunde sind.
30 Sekunden später
AW:
Ja, vielleicht auch deshalb. Und weil Teile von »uns« sorgsam darauf bedacht sind, den Begriff der Freundschaft »ins Treffen« zu führen.
Fünf Minuten später
RE:
Welche war die beste Begegnung, Leo?
50 Sekunden später
AW:
Die vorläufig letzte, die fünfte.
Zwei Minuten später
RE:
Da hast du nicht lange nachgedacht! Weil sie die kürzeste war? Weil sie ein (verhältnismäßig) klares Ende hatte? Weil die Weichen für die Zukunft gestellt waren? Weil »Pam« vor der Türe stand?
40 Sekunden später
AW:
Wegen deines »Erinnerungsstücks«, Emmi.
30 Sekunden später
RE:
Oh. Du erinnerst dich?
20 Sekunden später
AW:
Ich muss mich nicht erinnern. Ich kann es nie vergessen. Ich habe es immer bei mir.
40 Sekunden später
RE:
Aber du hast kein Wort darüber verloren.
30 Sekunden später
AW:
Dort kommen Worte nicht hin.
40 Sekunden später
RE:
Bei uns sind Worte bisher noch überall hingekommen.
30 Sekunden später
AW:
Hierhin nicht. Hier lasse ich sie nicht herein. Das macht »es« aus.
20 Sekunden später
RE:
Du spürst »es« also nach wie vor?
20 Sekunden später
AW:
Und wie!
40 Sekunden später
RE:
Das ist schön, Leo!!! (Pause. Pause. Pause.) So, und jetzt sind wir wieder Freunde.
30 Sekunden später
AW:
Ja, Schreibfreundin, du bist entlassen. Du kannst Bernhard beim Kochen auf die Finger schauen. Angenehmen Abend!
40 Sekunden später
RE:
Gut, Schreibfreund, und du darfst »Pam« beim Haarfönen beiwohnen. Ebenfalls angenehmen Abend.
30 Sekunden später
AW:
Sie fönt ihre Haare morgens zwischen sieben Uhr und sieben Uhr dreißig. (Außer am Wochenende.)
50 Sekunden später
RE:
So genau wollte ich es diesmal gar nicht wissen.
Vier Tage später
Betreff: Cafe Bodinger
Hallo Emmi, bleibt es bei heute Nachmittag?
Lieber Gruß, Leo.
Eine Stunde später
RE:
Hallo Leo. Ja, natürlich. Es ist nur (...), es ist ein kleines Problem aufgetaucht, ein organisatorisches. Aber egal. Nein, es ist eigentlich kein wirkliches Problem. Also, es bleibt bei heute Nachmittag. 16.30 Uhr. Bis bald!
Drei Minuten später
AW:
Wollen wir (...), Verzeihung, willst du, dass wir das Treffen verschieben, Emmi?
Zwei Minuten später
RE:
Nein, nein, nein. Alles okay. Es ist nur, nein, es ist eigentlich kein wirkliches Problem. Bis dann, Schreibfreund! Ich freu mich!
40 Sekunden später
AW:
Ich mich auch!
Am nächsten Morgen
Betreff: Überraschungsgast Hallo Leo, er mag dich!
Eine Stunde später
AW:
Schön.
40 Minuten später
RE:
Bist du sauer? Leo, es ging nicht anders. Sein Werkunterricht ist ausgefallen und er wollte unbedingt mitkommen. Er wollte dich kennenlernen. Er wollte wissen, wie jemand aussieht, dereinem (nein, nicht einem, sondern seiner Mutter) zwei Jahre lang E-Mails schreibt. Er findet das nämlich einigermaßen pervers, was wir da tun, beziehungsweise was wir nicht tun. Du warst für ihn wie ein Außerirdischer, und deshalb doppelt interessant. Was hätte ich machen sollen? Hätte ich sagen sollen: »Jonas, nein, das geht nicht, dieser Mann vom fremden Planeten ›Outlook‹ ist nur für mich
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