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Alle sieben Wellen

Titel: Alle sieben Wellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Glattauer
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alles in Ordnung ist. Du musst mir nicht schreiben, wenn dir nicht danach ist. Schreib mir bitte nur, dass dir nicht danach ist, mir zu schreiben, falls dir nicht danach ist. Und falls dir zufällig doch danach ist, so schreibe mir! Das würde mich freuen, sehr sogar! Hier bei mir gibt es keine Wellen, nicht die ersten sechs. Und schon gar nicht die siebente. Das Meer ist ruhig. Sein Spiegel glänzt, die Sonne blendet. Ich warte auf nichts. Alles ist da, alles nimmt seinen Lauf. Keine Veränderung in Sicht. Windstille. Emmi, wenigstens ein paar Worte von dir. Bitte! Leo.
     
    Drei Stunden später
    RE:
    Alles in Ordnung, Leo! In ein paar Tagen schreibe ich dir mehr dazu. Ich habe mir einiges vorgenommen. Emmi.
     
    Acht Tage später
    Betreff: Neubeginn
    Lieber Leo, Bernhard und ich probieren es noch einmal miteinander. Wir hatten einen schönen, ja harmonischen gemeinsamen Urlaub. Einen wie früher, so ähnlich, nein, eigentlich ganz anders, aber egal. Wir wissen, was wir einander bedeuten. Wir wissen, was wir aneinander haben. Wir wissen, dass es nicht alles ist. Wir wissen jetzt aber auch, dass es nicht alles zu sein braucht. Alles kann einem ein einziger Mensch offenbar nicht geben. Man kann natürlich sein Leben danach ausrichten, darauf zu warten, dass so ein Mensch kommt, der einem alles gibt. Da hat man dann diese wunderbare, betörende, aufwühlende, Herzklopfen verursachende Alles-Illusion, die es einem erträglich macht, in chronischen Mangelerscheinungen dahinzuleben, bis man sie aufgebraucht hat, die Illusion. Dann spürt man nur noch den Mangel. Dieses Gefühl kenne ich nun zur Genüge. Das ist nichts mehr für mich. Ichstrebe nicht mehr nach dem Idealen. Ich will aus etwas Gutem das Beste machen, das genügt mir für mein Glück.
    Ich werde wieder nach Hause zu Bernhard ziehen. Im nächsten Jahr wird er viel unterwegs sein, auf großen Konzerttourneen. Er ist international sehr gefragt. Da brauchen mich die Kinder. (Oder brauche ich die Kinder? Sind es denn noch Kinder? Ganz egal.) Meine kleine Wohnung behalte ich mir als Rückzugsgebiet für mein »Ich alleine«.
    Was uns beide betrifft, Leo? Ich habe viel darüber nachgedacht. Ich habe auch mit Bernhard darüber gesprochen, ob es dir recht ist oder nicht. Er weiß, wie wichtig du für mich bist. Er weiß, dass wir uns mittlerweile ein paar Mal kurz getroffen haben. Er weiß, dass du mir gefällst, ja, auch so, so ganz normal, physisch, unvirtuell, so mit Händen und Füßen. Er weiß, dass ich mir alles Mögliche mit dir vorstellen hätte können. Und er weiß, dass ich mir alles Mögliche mit dir vorgestellt habe. Er weiß auch, wie sehr ich noch immer an deinen Worten hänge und wie groß mein Bedürfnis ist, dir zu schreiben. Ja, er weiß, dass wir uns noch immer schreiben. Er weiß nur nicht, WAS wir uns schreiben. Ich werde es ihm nicht verraten, denn das geht nur uns beide und sonst keinen etwas an. Aber ich will, dass es ihm zumutbar wäre, wüsste er, was wir uns mitteilen, worüber wir uns austauschen. Ich will ihn nicht mehr betrügen mit meinen unerfüllten Sehnsüchten, mit meinen Alles-Illusionen. Leo, ich will mein Inseldasein mit dir beenden. Ich will, was du, wenn du ehrlich zu dir bist, immer schon wolltest: Ich will – jetzt bin ich neugierig, ob ich es schaffe, das herauszubringen – ich will, ich will, ich will, (...) dass wir Freunde bleiben. (Geschafft!) Schreibfreunde. Verstehst du mich? Kein Herzklopfen mehr. Kein Bauchweh mehr. Kein Bangen. Kein Zittern. Kein Hoffen. Kein Wünschen. Kein Warten. Einfach E-Mails von meinem Freund Leo. Und wenn ich sie nicht kriege, dann geht davon die Welt nicht unter. Das will ich! Keine wöchentlichen Weltuntergänge mehr. Verstehst du? Alles Liebe, Emmi.
     
    Zehn Minuten später
    AW:
    Hat dich also doch die siebente Welle erfasst!
     
    Vier Minuten später
    RE:
    Nein, Leo, im Gegenteil. Sie ist ausgeblieben. Eine Woche habe ich auf sie gewartet. Sie ist nicht gekommen. Und soll ich dir sagen, warum? Weil es sie gar nicht gibt. Sie war nur eine »Alles-Illusion«. Ich glaube nicht an sie. Ich brauche keine Wellen, nicht die ersten sechs, und schon gar nicht die siebente. Ich halte es lieber mit Leo Leike: »Das Meer ist ruhig. Sein Spiegel glänzt, die Sonne blendet. Ich warte auf nichts. Alles ist da, alles nimmt seinen Lauf. Keine Veränderung in Sicht. Windstille.« So lässt es sich leben. So lässt es sich zumindest besser schlafen.
     
    Drei Minuten später
    AW:
    Erwarte dir nicht zu

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