Alle Singen Im Chor
Tuulia macht. Sie hat auf dem Fußboden gelegen und geschnarcht, und Mirja hat im Bett gesessen und mich angestarrt, aber Piia … Die war nirgendwo.»
«Oben hast du sie auch nicht gesehen?»
«Da muss sie gewesen sein, bei Jukka … Na ja, weil, als ich mich schlafend gestellt habe, da haben die oben im Flur geredet, und Jukka hat gesagt, Piia soll in seinem Zimmer schlafen, und Piia hat gesagt, das macht sie nicht und Küssen ist das eine, aber Bumsen was ganz anderes. Du weißt, dass die was miteinander hatten …»
Alle schienen begierig zu sein, mich über das Verhältnis zwischen Piia und Jukka zu informieren. Jyri sprach fast mit Bewunderung darüber.
«Und dann?»
«Nix. Piia ist, glaub ich, wieder runtergegangen, und dann kam Antti rauf und hat sich schlafen gelegt. Ich hab ’ne Weile gewartet und bin dann runter zu Tuulia, aber die hat schon geschnarcht. Und dann bin ich wirklich eingepennt, weil ich auf den Kummer noch einen Whisky getrunken hab.»
«Wann bist du endgültig schlafen gegangen?»
«Das war wohl so gegen drei …»
«Und da war Jukka in seinem Zimmer?»
«Weiß ich nicht, die Tür war zu. Und ich weiß auch nicht, ob Piia bei ihm war oder irgendwo anders.»
«Als du Jukka im Wasser gefunden hast, ist dir da irgendwas Besonderes an ihm aufgefallen?»
«Was Besonderes? Er war tot, das ist doch was Besonderes. Sonst ist mir nix aufgefallen, ich wollte auch nicht so genau hinschauen … Außerdem hat mich der Kater gepackt, mir kam alles hoch.»
«Du bist danach nicht mehr ans Ufer gegangen?»
«Nee. Mirja und Antti sind hin, und als sie zurückkamen, hat Antti gesagt, es ist besser, wenn wir nicht hingehen und alles durcheinander bringen.»
Nach Jyris Redeschwall war mir Mirja Rasinkangas mit ihrem phlegmatischen Ernst doppelt unsympathisch. Sie ließ mich deutlich spüren, wie wenig sie von meinen kriminalistischen Fähigkeiten hielt. Inzwischen erinnerte ich mich schon klarer an ihre Besuche in unserer Studentenwohnung. Damals hielt sie mich für minderwertig, weil ich keine anständige Musik machte. Bass in einer Punkband zählte bei ihr nicht. Eines Abends, als einige aus dem Chor bei Jaana geprobt hatten und wir anschließend noch zusammensaßen, hatte ich aus purer Boshaftigkeit angefangen, die nostalgischen Klagelieder über das verlorene Karelien zu kritisieren, die im Repertoire des IOL eine große Rolle spielten und die sie im Nachbarzimmer drei Stunden lang geträllert hatten. In Wahrheit war meine Einstellung zur klassischen Musik nicht annähernd so negativ, wie ich damals behauptet hatte, und außer Mirja hatte mich wohl auch niemand ernst genommen.
Noch mehr als über Mirja selbst ärgerte ich mich über meine eigenen Vorbehalte ihr gegenüber – Polizisten sollten unparteiisch in eine Vernehmung gehen.
«Wir sind gegen sechs Uhr angekommen», begann Mirja. «Jyri und Jukka sind ziemlich idiotisch über die Nebenstraßen gerast, gut, dass wir nicht im Graben gelandet sind, und mir war ganz schön übel, aber natürlich mussten wir singen – denn zum Proben waren wir ja hingefahren, obwohl einige das bald zu vergessen schienen. Ein paar Stunden haben wir einigermaßen intensiv gearbeitet, aber dann wurde es unruhig, Jyri schrie nach Bier und so weiter.»
«Was habt ihr sonst noch geprobt, außer dem Lied von Kuula?»
«Für Kuula ist die meiste Zeit draufgegangen, weil der zweite Sopran den Anforderungen wieder mal nicht gerecht wurde und Jyri furchtbar lange brauchte, bis er seine Einsätze beherrschte. Danach haben wir aus den ‹Piae cantiones› gesungen und zum Schluss leichte finnische Volkslieder.»
«Wer von euch singt den zweiten Sopran?»
«Piia natürlich», fauchte Mirja, als verstünde sich das von selbst. Ich erinnerte mich, dass auch Jaana zweiter Sopran gewesen war. Sie hatte sich immer als zweitklassigen Sopran bezeichnet, ihre Stimme war nicht hoch genug für einen richtigen Sopran und nicht tief genug für den Alt.
«Und dann, nach der Probe?»
«Ich habe mit Tuulia das Essen gemacht und gespült – so geht es ja immer, ein paar arbeiten und der Rest faulenzt. Dann bin ich in die Sauna. Alles war ganz normal, außer dass Jyri versucht hat, mit Tuulia anzubandeln, was vielleicht ein bisschen außergewöhnlich ist, aber ansonsten war es ungefähr dasselbe wie immer, wenn der Chor einen gemeinsamen Abend verbringt, Sauna, Gequatsche, Trinken. Ich trinke selten mehr als zwei Glas und hatte keine große Lust auf Geselligkeit, deshalb bin ich
Weitere Kostenlose Bücher