Alle Sorgen sind vergessen
Wochen nach der Hochzeit rief Jorge an, um Allison zu sagen, dass er länger im Büro zu tun habe und nicht wisse, wann er nach Hause kommen würde. Also aß sie früh zu Abend und ging unter die Dusche, obwohl es erst kurz nach sieben war. Eine halbe Stunde später lag sie in ihrer Schlafanzughose und einem warmen TShirt auf der Couch und schlug ein Lehrbuch auf, während im stumm geschalteten Fernseher ein Nachrichtensender lief.
Sie hatte keine drei Seiten geschafft, da läutete es an der Tür.
Ob Jorge den Schlüssel vergessen hatte? Sie eilte hinüber und schaute durch den Spion. Es war nicht Jorge, sondern eine ältere Frau mit dunklem Haar.
Nach kurzem Zögern öffnete sie. „Hallo?“
„Hallo. Du musst Allison sein.“
„Ja“, erwiderte sie erstaunt.
„Ich bin Jorges Mutter Benita.“
Allisons Augen wurden groß. Verblüfft starrte sie die unerwartete Besucherin an.
„Darf ich hereinkommen?“
„Natürlich.“ Allison wich zurück und riss die Tür auf. „Bitte.“
Die attraktive Frau trat ein und schaute an ihr vorbei ins Wohnzimmer. „Ist Jorge zu Hause?“
„Nein, tut mir Leid, er muss heute länger arbeiten.“ Allison schloss die Tür, warf einen Blick in den Spiegel und hätte fast laut aufgestöhnt. Sie war barfuß, das Haar zerzaust, und die hellblaue Pyjamahose war die ausgeleierte mit den Delfinen. Benita Perez dagegen trug ein elegantes Kostüm, kleine Goldohrringe und modische Stiefel, die farblich zur teuer aussehenden Umhängetasche passten.
„Als ich von einem Besuch bei meiner Schwägerin in Florida zurückkehrte, hörte ich von meiner Nichte Rita, dass Jorge während meiner Abwesenheit geheiratet hat.“
„Ja. Richter Maddock hat uns getraut. Es ging alles sehr schnell, und wir…“
Verunsichert verstummte Allison.
Benitas strenge Miene entspannte sich. „Er hätte mich anrufen können. Und da er das nicht getan hat, kann ich nur annehmen, dass es etwas gibt, was ich nicht wissen sollte.“
Allison lief es kalt den Rücken herunter, und sie musste ein Frösteln unterdrücken.
„Jetzt, da ich dich gesehen habe, glaube ich, zu wissen, was das ist.“ Jorges Mutter lächelte. „Es war Liebe auf den ersten Blick, nicht wahr?“
Allison wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte.
„Ich habe ihm immer gesagt, dass er eines Tages die richtige Frau kennen lernen und sich Hals über Kopf verlieben würde. Genau wie sein Vater und ich. Und er hat immer geschworen, dass er viel zu logisch veranlagt ist, um sich seine Ehefrau auf so unvernünftige Weise auszusuchen. Bestimmt hat er es mir nicht erzählt, weil er nicht zugeben will, dass er genauso romantisch ist wie seine Eltern.“ Lachend umarmte Benita ihre frisch gebackene Schwiegertochter. „Erzähl mir, wie ihr beide euch kennen gelernt habt.“
„Gern.“ Allison wusste, dass sie Zeit gewinnen musste. „Aber machen wir uns doch erst eine Kanne Tee.“
Eine halbe Stunde später saßen die beiden Frauen im Wohnzimmer. Inzwischen hatte die Atmosphäre sich entspannt.
„Hat Jorge viele Angehörige in Florida?“ fragte Allison.
„Die Schwester und zwei Brüder meines Mannes haben sich dort zur Ruhe gesetzt.“ Benita starrte in ihre Teetasse. „Ich weiß nicht, ob Jorge es dir gesagt hat, aber er hat seinen Vater verloren, als er noch ziemlich jung war.“
„Ja, ich weiß. Er hat mir von dem Raubüberfall erzählt. Es muss sehr schlimm gewesen sein.“
Benita nickte. „Es war eine schreckliche Zeit. Jorge hat sehr darunter gelitten.
Aus einem unbeschwerten kleinen Jungen wurde ein ernster junger Mann, der sich vornahm, etwas gegen Gewalt zu unternehmen.“ Ihr Blick wurde warm, und sie legte eine Hand auf Allisons. „Jorge spricht nie über jenen Tag, nicht mal mit mir.“
Wieder wusste Allison nicht, was sie sagen sollte. „Dann ist es vielleicht gut, dass er mit mir darüber gesprochen hat“, erwiderte sie schließlich, denn seine Mutter schien eine Antwort zu erwarten.
„Mit Sicherheit. Ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich ich darüber bin, dass Jorge dich gefunden hat“, gestand Benita. „Celeste war nicht gut für ihn. Deshalb war ich froh, als sie die Verlobung gelöst hat.“
„Jorge war verlobt? Bis vor kurzem?“ Er hatte eine andere geliebt, sie sogar heiraten wollen. Aber mich liebt er nicht, dachte Allison, und ein schmerzhafter Stich durchzuckte ihr Herz.
„Nein, nicht vor kurzem. Es ist Jahre her“, versicherte Benita ihr. „Sie kam aus einer prominenten Familie.
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