Alle Sorgen sind vergessen
Ich glaube, sie haben sich über ihren Großvater kennen gelernt. Er ist Richter am Berufungsgericht. Bestimmt wäre sie gut für Jorges Karriere gewesen. Sie hatte genau die richtigen Beziehungen“, erzählte Jorges Mutter nachdenklich. „Und dauernd schleifte sie ihn auf einen Ball oder ein GalaDinner. Ich bezweifle, dass er je einen ruhigen Abend hatte. Und ich kenne meinen Sohn gut genug, um zu wissen, dass er es hasste. Als die Verlobung gelöst wurde, war ich nicht überrascht. Jorge war nicht mit dem Herzen dabei.“
Sie lächelte Allison zu und wechselte abrupt das Thema. „Es ist schön, dass du Anwältin werden willst. Da müsst ihr beide viel gemeinsam haben.“
Weit mehr als das, dachte Allison, sprach es jedoch nicht aus. „Ja, das stimmt.“
„Habt ihr schon über Kinder gesprochen?“ Benita schlug sich eine Hand vor den Mund. „Du meine Güte, ich kann nicht glauben, dass ich das gesagt habe. Ich habe mir immer geschworen, mich niemals in Jorges Ehe einzumischen. Aber alle meine Schwestern haben Enkelkinder, und ich muss gestehen, ich habe mich schon gefragt, ob Jorge jemals heiraten und Kinder bekommen wird.“
Allison musste über Benitas verlegenen Gesichtsausdruck lachen. „Das ist doch ganz natürlich. Und ja, wir haben über Kinder gesprochen.“
„Wie schön“, rief seine Mutter begeistert. „Ich frage nicht, wann es so weit ist, aber damit du es weißt, ich stehe jederzeit als Babysitter zur Verfügung.“
„Gut zu wissen“, meinte Allison und erwiderte Benitas warmes Lächeln.
„Da du genau wie Jorge Einzelkind bist, werde ich wohl mit deinen Eltern einen Strohhalm ziehen müssen. Bestimmt wollen auch sie sich als Erste um ihr Enkelkind kümmern.“
„Mm.“ Allison nippte am Kräutertee. Ihre Eltern würden ein teures Taufgeschenk schicken, aber wohl kaum Zeit für das Baby finden.
„Ich muss gehen. Ich habe dich lange genug vom Lernen abgehalten.“ Benita stellte ihre Tasse ab und stand auf.
Allison brachte sie zur Tür. „Ich weiß, dass Jorge bedauern wird, dass er nicht zu Hause war.“
„Sag ihm, wie schön ich es finde, dass wir beide uns kennen gelernt haben“, antworte Benita, und ihre dunklen Augen ähnelten seinen. „Ich freue mich ja so, dass er dich gefunden hat, Allison.“ Sie umarmte Allison kurz, aber herzlich. „Er soll mich anrufen, und ihr beide kommt ganz bald zum Abendessen zu mir.“
„Sehr gern.“ Allison winkte ihr nach, schloss die Tür und lehnte sich dagegen. Ihr war ein wenig, als wäre ein Wirbelwind über sie hinweggefegt. Jorges Mutter war ebenso charmant, lebhaft und scharfsinnig wie ihr Sohn. In der knappen Stunde, die sie zu Besuch gewesen war, hatte Benita alles Wesentliche über Allisons Leben erfahren – abgesehen von der Tatsache, dass sie schon schwanger war.
Allison hatte das Gefühl, dass es ein schwerer Fehler wäre, ihr den wahren Grund für die Heirat viel länger zu verheimlichen.
Sie machte es sich wieder auf der Couch bequem und schlug das Lehrbuch auf.
Erst als sie hörte, wie Jorge die Wohnungstür aufschloss, hob sie den Kopf und warf einen Blick auf die Digitaluhr an der HiFiAnlage. Es war schon nach elf.
Sie drehte sich um. Er zog sich gerade den Mantel aus und hängte ihn in den Schrank.
„Hallo.“
„Na?“ Er betrat das Wohnzimmer und setzte sich ihr gegenüber auf die Ottomane. Lächelnd sah er ihr ins Gesicht, und sein Blick wurde warm. „Warum bist du so spät noch auf? Ich hätte gedacht, du schläfst schon fest und tief.“
Allisons Herz schlug schneller. Sie erwiderte sein Lächeln. „Ich habe nicht auf die Uhr gesehen.“
„Was liest du denn?“ Er beugte sich vor und nahm das aufgeschlagene Buch von ihrem Schoß. „Kelly gegen den Staat New York?“
„Ich suche nach Fällen, in denen ein Schüler die Schulverwaltung verklagt hat.“
„Aha.“ Er legte es zurück. „Was hast du gegessen?“
Sie rümpfte die Nase. „Eine sehr gesunde Hähnchenbrust, grüne Bohnen und Salat. Und bevor du fragst, ja, ich habe Milch getrunken.“
„Gut.“
„Es kommt mir vor, als würde ich mit der Ernährungspolizei zusammenleben“, beschwerte sie sich und grinste, als er lachte. Sie liebte sein Lachen. Es war tief und kehlig, und an seinen Augenwinkeln bildeten sich unzählige Falten. Und es half ihm, sich nach einem langen Tag im Gericht zu entspannen. „Ich hatte heute Abend Besuch.“
„Wirklich? Von wem denn?“ Er nahm die Krawatte ab und öffnete die vier obersten Knöpfe seines
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