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Alle Tränen dieser Erde

Alle Tränen dieser Erde

Titel: Alle Tränen dieser Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian W. Aldiss
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widerliche Akademien des einundzwanzigsten, alle durch die Hand des Zerfalls verwandelt. Über ihren verrottenden Dächern kreisten Tauben. Pflanzen, sogar Bäume, wuchsen dort inmitten zerfallender Gossen.
    Birdlip suchte sich einen Weg durch das Gras und achtete auf Fahrspuren in der alten Straße. Sie mußten einen Umweg machen, um eine Eisenbahnbrücke zu umgehen, die eingestürzt war und die Schienen allein in die Luft ragen ließ. Mehrmals verschwanden bei ihrer Annäherung Tiere im Schutt, und Vögel signalisierten ihre Ankunft. An einer Ecke saß ein alter Mann, der den Blick nicht hob, um sie anzusehen.
    Birdlip faßte die Überzeugung, daß er die Gegenwart hinter sich gelassen hatte – weder in die Vergangenheit, noch in die Zukunft, sondern in eine andere Dimension. Warum gehe ich mit einem Roman? fragte er sich. Das hat noch keiner getan. Und seine Gedanken antworteten ihm: Woher weißt du das? Wie viele Menschen mögen diesen Weg schon vor mir gegangen sein?
    Ein wesentlicher Teil seines Motivs, hierherzukommen, war ihm klar: er war wenigstens teilweise von den Argumenten in Toolrusts Buch überzeugt; ein Fieber hatte ihn erfaßt, es zu verlegen.
    »Wir sind fast da, Sir«, sagte Hippo.
    Sein Hinweis war kaum nötig, da man jetzt mehrere Romen, meist ältere Modelle, sehen konnte, die leise vor sich hinsummten.
    »Warum arbeiten diese Romen nicht?« fragte Birdlip.
    »Oft sterben ihre Arbeitgeber, und sie kommen hierher, bevor sie abgeschaltet werden, oder weil sie vergessen sind – und wenn nicht hier, dann tauchen sie in einer der anderen Zufluchtsstätten auf. Die Menschen kümmern sich sehr wenig um die Romen, Sir.«
    Ein schwerfälliger Roman wankte vorwärts und fragte sie nach ihrem Begehr. Hippo antwortete kurz; sie bogen um eine Ecke, und da war ihr Ziel, vor der Außenwelt gut versteckt.
    Ein ganzer Platz war vom Schutt befreit worden. Obwohl viele Fenster zerbrochen waren, obwohl die viktorianischen Balustraden vor Alter gewunden und gekrümmt waren, wirkte das Ganze nicht verkommen. Ein Robot-Taxi stand mitten auf dem Platz; mehrere Romen luden Kisten aus. Romen gingen in den Häusern ein und aus.
    Irgendwie fand Birdlip die Szenerie nicht unerfreulich. Er versuchte seine Reaktion zu analysieren und sagte: »Ja, was mir gefällt, ist die Hygiene der Romen; die Kanalisation hier in der Gegend muß längst zusammengebrochen sein.« – Wenn hier nur Männer und Frauen leben würden, stänke es längst, dachte er. Aber er schob den Gedanken als Verrat beiseite.
    Hippo ging hinüber zu einem der Häuser, dessen Tür in den Scharnieren herabhing. Hippo stieß sie auf und rief: »Toolrust!«
    Eine Gestalt tauchte oben auf und schaute herunter. Es war eine Frau.
    »Toolrust ruht sich aus. Wer ist da?«
    Birdlip kannte sie, bevor er noch etwas sagte. Diese Augen, diese Nase, dieser Mund – und die Stimmfärbung bestätigten es.
    »Maureen Freud? Darf ich hinaufkommen? Ich bin January Birdlip, der Teilhaber Ihres Bruders«, rief er.
    »Bin ich der Hüter meines Bruders?« sagte Freud. »Warum soll ich für meinen Teilhaber sterben? Ich muß mich ausruhen. Bucket. Bucket, bist du sicher, daß er den Weg genommen hat?«
    »Ganz sicher«, sagte Bucket ohne Betonung. Unermüdet führte er seinen Herrn über die Reste einer eingestürzten Eisenbahnbrücke, deren Schienen allein in die Luft ragten.
    »Schnell, Sir, sonst holen wir Mr. Birdlip nie ein.«
     
     
    »Mr. Birdlip, kommen Sie rauf«, sagte die Frau.
    Birdlip erstieg die wacklige Treppe, bis er ihr gegenüberstand. Obwohl er sie ohne Neugier betrachtete – denn was sie auch immer tat, war ihre eigene Angelegenheit – fiel ihm auf, daß sie noch eine gutaussehende Frau war. Entweder ein schwer zu fassender Ausdruck auf ihrem Gesicht oder der weiche Frottemantel, den sie trug, verlieh ihr einen mütterlichen Zug. Birdlip streckte höflich die Hand aus.
    »Mr. Birdlip weiß Bescheid über Toolrust und hat sein Buch gelesen«, sagte Hippo hinter ihm.
    »Nett von Ihnen, daß Sie hergekommen sind«, sagte Maureen Freud. »Hatten Sie denn keine Angst davor, Blechheim zu besuchen? Stahl ist so viel stärker als Fleisch.«
    »Ich bin kein mutiger Mann, aber ein Verleger«, erklärte Birdlip. »Ich glaube, die Welt sollte Toolrusts Buch lesen; es wird die Menschen dazu veranlassen, sich neu zu prüfen.«
    »Und haben Sie sich neu geprüft?«
    Plötzlich war er ein wenig gereizt.
    »Es freut mich, Sie selbst unter diesen außergewöhnlichen Umständen

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