Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Bielefeld und von Oma Schlosser ein Buch: »Womit wir leben können. Das Wichtigste aus der Bibel in der Sprache unserer Zeit. Für jeden Tag des Jahres ausgewählt und neu übersetzt von Jörg Zink«. Und dazu noch ein Fremdwörterlexikon und einen Zehnmarkschein von Tante Lena aus Bochum. Begegnet war ich der noch nie. Der eckigen Handschrift konnte man ansehen, daß es die von einer uralten Frau war.
Das Altsein ist oft recht schwer und will auch gelernt sein. Nun muß ich aufhören, denn die rechte Hand streikt ...
Was ich an Bargeld eingesackt hatte, belief sich auf müde dreißig Mark.
Als Mama und Renate die Bratenplatten und Soßenschüsseln ins Wohnzimmer geschleppt hatten, stand Papa von seinem Stuhl auf, stellte sich dahinter, wischte sich den Mund an einer Stoffserviette ab und hielt dann eine Ansprache, der er die Bemerkung voranschickte, daß er vom lieben Gott nicht als Redner geboren worden sei. Dabei hielt Papa sich mit beiden Händen an seiner Stuhllehne fest.
Die Konfirmation, sagte er, sei ein Schritt zum Erwachsenwerden. »Zum Erwachsenwerden, wohlgemerkt, nicht zum Erwachsensein!« Denn das Erwachsensein, das sei noch einmal etwas anderes als das Erwachsenwerden.
Daß ich noch nicht erwachsen war, wußte ich selbst. Das hätte Papa mir nicht unbedingt noch einmal aufs Brot schmieren müssen.
Zum Nachtisch gab’s Birne Helene, und dann schoß ich viele Fotos. Opa Jever auf der Terrassenmauer, Oma Jever in der Küche, Tante Dagmar im Flur, Onkel Dietrich beim Naseputzen, Tante Gertrud vorm Komposthaufen und Wiebke und Bodo zu zweit in der Hängematte.
Renate goß den Gästen Bier und Sekt und Wasser nach. Was ich albern fand, war, daß Oma Jever und Oma Schlosser einander siezten, obwohl ich die alle beide duzte. »Könnt ihr euch nicht duzen?« fragte ich, und da sahen sich die beiden Großmütter an und giggelten wie die Backfische. Und dann sollte ich ihnen was zu trinken bringen, damit sie ihre Duzfreundschaft begießen könnten.
Beim Kaffeetrinken um halb fünf hatte man die Wahl zwischen Kirschtorte und Nußtorte, und als die Verwandten endlich alle abgedackelt waren, führte ich mir mein neues Fremdwörterlexikon zu Gemüte. Bordell, Defloration, Ejakulation, Intimität, Klitoris, Koitus, Kondom ... Masturbation, Nuditäten, Nudistik, Onanie, Orgasmus ... Penis, Pollution, Sexualpathologie, Smegma, Syphilis ... Vagina, Vaginismus, Vaginitis und Zölibat ...
Ich fand auch die Wörter Analfistel, Gonokokken, Penetration und Pessar. Und sowas kriegte man nun zur Konfirmation geschenkt.
Nymphomanie war ein »psychischer Aufregungszustand mit starker geschlechtlicher Erregung beim weiblichen Geschlecht«, und ein Pedant war ein »kleinlicher, peinlich genauer, auf Unwesentliches Wert legender Mensch«.
Ich fragte Mama, ob Papa ein Pedant sei, und sie mußte ein paar Sekunden lang überlegen, bis ihr als Antwort einfiel, daß es darauf ankomme, was man darunter verstehe. Es gebe da ganz unterschiedliche Auffassungen.
Im Bett sah ich mir die Leuchtzeiger meiner Armbanduhr an. Wenn man die vorher unter eine Glühbirne gehalten hatte, leuchteten sie strahlend hell.
Am Montag erzählte Hermann mir, daß Cassius Clay am Samstag in der Fernsehshow von Rudi Carrell von einer Omi aus Jux k.o. gehauen worden sei. Und der Holzmüller habe zur Konfirmation zweitausend Mark eingesackt.
Nach der Klavierstunde durfte ich die Sonatine in der Aula der Musikschule auf dem Konzertflügel üben. Die Tasten gingen zehnmal schwerer runter als auf unserem Klavier.
In meinem Zimmer legte ich die Platten von Tante Gertrud auf. Die hatten Schmiß. Da rief Joseph Goebbels aus:
Läutet die Glocken von Turm zu Turm!
Und dann, mit wachsender Begeisterung:
Läutet die Männer, die Greise, die Buben!
Läutet die Schläfer aus ihren Stuben!
Läutet die Mädchen herunter die Stiegen!
Läutet die Mütter hinweg von den Wiegen!
Dröhnen soll sie und gellen, die Luft!
Rasen, rasen im Donner der Rache!
Läutet die Toten aus ihrer Gruft!
Deutschland, erwache!
Dann kam eine Rede von Adolf Hitler. Darin feierte er mit Gebrüll »das neue Deutsche Reich der Größe und der Ehre und der Kraft und der Herrlichkeit und der Gerechtigkeit! Amen!«
»Hast du sie noch alle?« fragte Mama, mit einem Stapel gebügelter Unterhosen auf dem Arm. »Was hörst du dir denn hier für einen Käse an?«
Sie sei froh, sagte Mama, daß sie die Hitlerzeit heil überstanden habe.
Den Wettstreit gegen Richard Dunn in der
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