Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Stefan Rüßkamp in die Kirche hinein, vom Orgelspiel umtost, und ich war dem lieben Gott dankbar, als ich vorn einen Sitzplatz gefunden hatte, in der zweiten Reihe.
Dem Vater aller Güte, dem Gott, der alle Wunder tut und allen Jammer stillt, sei Ehre, sang der Chor. Dann kam eine Lesung aus dem Evangelium, dann wurde wieder gesungen, »von guten Mächten treu und still umgeben«, dann kam das Glaubensbekenntnis, und dann mußte man noch einmal das Gesangbuch aufschlagen. Zwischendurch gingen irgendwelche Mädchen mit Klingelbeuteln rum, und man mußte Geld reinschmeißen, als Dankopfer für die »Patengemeinde Marienberg«, von der kein Mensch wußte, was es mit der auf sich hatte.
Hier sind die starken Kräfte, die unerschöpfte Macht,
das weisen die Geschäfte, die seine Hand gemacht ...
Das Gebet, predigte Pastor Böker, sei das Atemholen der Seele. Als Christen seien wir mit der Taufe in Jesum eingepflanzt, und wir dürften vom Kelch des Nachtmahls trinken. Gottes Herz sei dazu bereit, uns zu empfangen, auch wenn wir irregegangen seien wie Schafe ohne Hirten. Wir sollten unsere Augen aufheben zu der großen, seligen Gnadengemeinschaft mit Gott, der uns aus dem Bösen endlich gar hinausführen werde, und je mehr unser Gebet eine zwingende Forderung werde, desto eher werde Gott unsere Bitten erfüllen.
Ob das auch für Bittgebete um das Wohlergehen von Borussia Mönchengladbach galt?
Auf meinem linken Knie hatte sich eine Fliege niedergelassen. Ich scheuchte sie weg, aber sie kam sofort wieder angeflogen. Wer wußte schon, auf welchem Kackhaufen die vorher gehockt hatte? Ich scheuchte das Mistvieh wieder weg, und dann setzte sich es sich auf Stefan Rüßkamps Kragen in der Reihe vor mir.
»Ich weiß, daß mein Erlöser lebt«, sagte Pastor Böker. In der Obhut Gottes seien wir geborgen. Halt und Hoffnung: Siehe, habe Gott der Herr gesagt, er sei bei uns alle Tage bis an der Welt Ende. Wer den Sohn lieb habe, zu dem komme der Vater, und wer nach Christo sich sehne, den werde der Vater trösten. Es verzeihe uns der Herr, daß wir uns unterfingen, mit Ihm zu reden, dieweil wir ja nur Staub und Asche seien, und noch mehr verzeihe Er uns, daß wir als Kinder des Allerhöchsten nicht besser zu ihm redeten. »Herr, lehre uns beten, hilf uns glauben, laß uns alles überwinden um Jesu Christi willen! Amen.«
Nach Christo sehnte ich mich weniger als nach dem Ende der ganzen Veranstaltung, und so wurde ich eingesegnet, und ich erhielt meine Konfirmationsurkunde.
Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.
Nach dieser Zeremonie mußten wir singen.
Ich bin getauft auf deinen Namen,
Gott Vater, Sohn und Heilger Geist,
ich bin gezählt zu deinem Samen,
zum Volk, das dir geheiligt heißt ...
Erst bei der dritten Strophe sang auch die Gemeinde mit, und dann kam das Abendmahl. Den Becher wischte Pastor Böker jedesmal mit einem Lappen ab. Das zweite heilige Sakrament nach der Taufe.
»Lasset uns beten«, hieß es dann.
Gemeindelied, Fürbittgebet, Vaterunser, Segensspruch, Kyrieleison, Orgelsolo und Schluß: Nun war ich durch, aber ich mußte noch fotografiert werden, gemeinsam mit allen Konfirmanden vor der Kirche. Die Mädchen setzten sich vorn auf Stühle, dahinter kam eine Reihe Jungs, und in der dritten Reihe mußten sich die restlichen Jungens auf Stühle stellen und grinsen.
Daß inzwischen auch die Bielefelder eingetroffen waren, Tante Gertrud und Onkel Edgar plus Bodo, kriegte ich erst zuhause mit, als Onkel Edgar mir im Flur herzhaft die Hand schüttelte.
Auch die Lohmanns ließen sich kurz blicken. Deren eine Tochter war im selben Durchgang konfirmiert worden, so wie drei andere Typen aus meiner Klasse.
Renates Auge tränte immer noch. »Arme Renate, hat vor Rührung geweint!« rief Onkel Edgar.
Aber ich war der Held des Tages, und ich kam mir vor wie Konsul Bollerstedt.
Von Tante Dagmar kriegte ich eine Armbanduhr, von Oma und Opa Jever eine Schreibmaschine, von Onkel Dietrich einen AGFAMATIC 2008 pocket Sensor mit Ledertasche, Handgelenkschlaufe, Repitomatic-Funktion, acht Philips-topflash-Blitzwürfeln zum Aufstecken und einem Farbfilm mit zwanzig Bildern, von Tante Gisela per Brief zwanzig Mark, von Mama und Papa ein Zeit -Abonnement, von Tante Gertrud zwei Bildbände über das Dritte Reich und eine dazugehörende Schallplatte mit Reden von Hitler und Goebbels und außerdem eine Unterschriftenmappe, 500 Blatt Papier, ein Tangramspiel und einen Wimpel von Arminia
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