Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
umhin, eine Anlage zu konzipieren, sagte Papa, und Onkel Rudi sagte: »Der Umgang mit gutem Werkzeug ist eine manuelle Delikatesse.« Das habe Alexander Spoerl mal geschrieben. »In Abwandlung dieses Wortes könnte man sagen, daß der Umgang mit guten Modellen eine manuelle und deren Anblick eine visuelle Delikatesse ist, aber das würden Leute, die diesen Sport als Spielerei betrachten, nie verstehen ...«
Und dabei moderte Papas Modelleisenbahnsammlung seit Jahren in einem Schrank vor sich hin, der für alle anderen Familienangehörigen tabu war.
Vor der Kaffeestunde nahm Onkel Rudi Onkel Dietrichs silbrig schimmernden Schlips in die Hand und sagte: »Du bist ja vom feinen Mann nur noch mühsam zu unterscheiden!«
»Tja, ich wollte mal mit dir konkurrieren«, sagte Onkel Dietrich, und es war gar nicht so einfach, jedesmal dahinterzukommen, worum es ging, wenn sich diese Onkels gegenseitig hoppnahmen.
Tante Doro und Onkel Jürgen fehlten noch, aber die kamen ja immer zu spät, und Tante Dagmar unterzog sich in Bad Salzuflen einer Kur, bei der sie nicht blaumachen durfte.
Bei der Führung durch den Garten erregten Papas Hügelbeete allgemeines Staunen. Papa zeigte auf eine Stelle ganz hinten und sagte, da würde er gern ein Gewächshaus hinstellen.
Die Kinderzimmer wurden nur oberflächlich gemustert, weil die Besuchermenge zu groß war, und zu fressen gab’s dann Hühner- und Rindfleischsuppe, Schweine- und Rinderbraten, Dosenspargel, Erbsen, Wurzeln, Blumenkohl, Pommes, gefüllte Paprikaschoten und Bohnensalat.
Ich trank Weißwein.
Seine Zweitgeborene habe sich im Sommer beim Gummitwisten einen Gipsfuß angelacht, sagte Onkel Dietrich zu Gustav. Nichts gebrochen, aber das Sprunggelenk sei gestaucht gewesen. Meinen Patenonkel Dietrich hatte Gustav das letztemal vor fünfzehn Jahren gesehen und Tante Jutta noch nie.
Ihr munde es vortrefflich, rief Oma Jever, und das sah man, denn ihr tropfte das Fett vom Kinn.
Als Mama, Renate und Sylvia die Tabletts mit den Nachtischtellern hereintrugen, Eis mit heiß, schneiten endlich auch Tante Doro und Onkel Jürgen herein und behaupteten, daß sie stundenlang in einem Verkehrsstau festgesteckt hätten.
Von einem Verwandten hatte Tante Jutta mehr als einhundert Milliarden Mark geerbt. »Oder glaubt ihr mir das nicht? Hier, bitte!« Und sie holte einen Geldschein aus ihrer Handtasche: 100 Milliarden Mark. Westfälisches Notgeld. Tante Jutta führte auch noch anderes aus ihrem Erbe vor: ein 500-Mark-Stück von 1922, eine König Friedrich Wilhelm IV. gewidmete Münze, eine andere mit Loch in der Mitte und einen sowjetischrussischen Geldschein mit Lenins Konterfei.
Leider sei das alles nicht viel wert, sagte Onkel Dietrich. Da hätten sie sich schon kundig gemacht.
Tante Luise packte Fotos von Onkel Immos Südafrikareise aus. Der hatte da dienstlich zu tun gehabt bei den Rassisten, die auch den Tafelberg bei Kapstadt kolonisiert hatten. »Der winzige Höcker obendruff heißt im Volksmund Engelsklo«, sagte Tante Luise, und Onkel Immo, der schwerhörig war, protestierte dagegen, daß wir alle so fürchterlich nuschelten.
Onkel Dietrich fragte Gustav aus: Ob es stimme, daß die Studenten in Göttingen in einer Tour streikten?
»Also, für unsereins, der sowohl die linken Chaoten als auch die rechten grölenden Burschenschaftler und RCDS-Leute, mit Verlaub gesagt, zum Kotzen findet, ist die Lage, vornehm ausgedrückt, bescheiden«, sagte Gustav.
»Und wie war das nun mit deinem Fahrradunfall?« fragte Tante Luise.
Er habe, wie man das in Dortmund nenne, »einen Schlabber gedreht«, sagte Gustav, und da fiel ihm Onkel Edgar ins Wort: Vom Fahrrad aus erlebe man die Landschaft wesentlicher intensiver als bei der beschaulichsten Autofahrt.
Und wenn einem bei längeren Radtouren mal die Knochen wehtäten, sagte Onkel Rudi, sei das auch nicht weiter schlimm. »Selbstgewähltes Schicksal!«
Ein Riesengeschiebe ging los, als wir uns alle auf der Haustreppe für ein Familienfoto versammeln sollten. Ich verdrückte mich nach hinten oben, zwischen Papa und Onkel Dietrich.
Ein Foto schoß Olaf, eins Onkel Rudi und eins Gustav.
Es gab dann im Wohnzimmer Doornkaat, Weißwein, Bier und Sherry. Letzterer schmeckte nach verfaultem Holz, wie ich fand.
Opa Jever las eine Geschichte von Rudolf Kinau vor, »Dat Piepenlock«, worüber alle lachten. Ich las lieber im »Aufmacher«, dem Enthüllungsbuch von Günter Wallraff, das ich mir gekauft hatte. In der Bild -Redaktion schien’s
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