Alle Vögel fliegen hoch
aber ich glaube, das stimmt nicht. Es sah dort anders aus.«
»Du warst rund sieben Kilometer entfernt, in der Nähe der Bundesstraße, bei Walter Hartl. Er war es, der dich an deinem Auto k. o. geschlagen hat.«
»Wo ist mein Auto?«
»Wir haben es in einem Waldstück in der Nähe sichergestellt. «
»Walter Hartl?«, fragte ich. »Kenne ich nicht. Moment! Walter … ist das der, der bei den Widmanns einziehen wollte? «
»Ja. Walter Hartl glaubte, du wüsstest, dass er schuld am Tod von Klaus Hase ist. Wobei er diese Tat abstreitet. Seiner Version nach hat er das nicht gewollt, es sei ein Unfall gewesen. Er sagt, er habe zuerst im Guten mit dir reden wollen. Aber dann hättest du durch gewisse Aktivitäten den Eindruck erweckt, du würdest ihn mit einem Film erpressen wollen. Da habe er keine andere Wahl gehabt. Als du allerdings auch nach der Entführung deines Hundes noch nicht aufgegeben hättest und sogar zu seinem besten Freund gefahren seist, habe er in Panik reagiert. Er habe dir kein Haar krümmen wollen. Du hättest angefangen, im Speicher auf ihn einzuschlagen.«
»Ha! Ich war total verschnürt!«, rief ich und sah die Situation noch einmal vor mir. Schade, dass ich meinem Trainer Eric nicht mehr davon erzählen konnte. Er wäre stolz auf mich gewesen, denn das war immer die große Frage, die ich seit vielen Jahren auch in meinen eigenen Kursen stellte: Auch wenn ihr geschult im Zweikampftraining seid: Ihr wisst
nicht, wie ihr in einem Ernstfall reagieren werdet. Ihr wisst nicht, ob ihr die trainierten Techniken anwenden könnt. Doch je öfter ihr sie trainiert, desto routinierter werden die Abläufe und desto größer ist eure Chance, dass ihr sie dann auch einsetzt, dass ihr also mit Verteidigung, statt mit äußerlicher oder innerlicher Flucht – wegrennen oder erstarren – reagiert. Ich war nicht erstarrt und wegrennen konnte ich nicht. Im Grunde genommen war ich sehr zufrieden mit mir.
»Wir glauben Walter Hartl natürlich nicht«, sagte Felix, »und die Beweise, die wir gefunden haben, sprechen eine deutliche Sprache. Es ist wie immer: Er will seinen Kopf aus der Schlinge ziehen. Er glaubt, du wüsstest, dass er etwas mit dem Tod von Klaus Hase zu tun hat.«
»Er hält mich für die Freundin von Klaus Hase, das weiß ich. Aber wie kann das sein?«
»Ich fasse mal für dich zusammen«, kündigte Felix an. »Rudi Ringmaier und Walter Hartl sind befreundet. Beide sind Taubenzüchter, wobei Rudi ein bisschen als Vaterfigur für den fünfundzwanzig Jahre jüngeren Walter herhält, dessen Vater bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Rudi wiederum hat sich immer einen Sohn gewünscht, aber er hat nur eine Tochter. Die Frau von Rudi ist früh an Krebs gestorben, seitdem ist sein Ein und Alles seine Enkelin.«
»Sarah! Sie hat ihr Pferd bei den Widmanns stehen!«
»Ja. Rudi und Walter sind auch mit Herrn Widmann befreundet. Das Haus, in dem Walter wohnt und in dem du auch festgehalten wurdest, wird in acht Wochen abgerissen. Eigentlich sollte er schon seit einem Jahr dort ausgezogen sein.«
»Aber deswegen entführt man doch keine Hunde und Menschen! Dafür kann ich doch nichts!«
Der Druck in meinem Kopf erhöhte sich. Ich begriff nicht, worum es hier ging und rieb mir die Stirn. »Ich verstehe nicht, wie das mit dem Film zusammenhängt, den dieser Walter von mir wollte.«
»Alles begann damit, dass die Widmanns das Haus an Klaus Hase vermietet haben. Irgendein Vater eines reitenden Mädchens, der auch im Patentamt arbeitete, hatte ein gutes Wort für ihn eingelegt. Klaus Hase hat dann auf dem Hof der Widmanns Fallen gefunden, die Walter und Rudi dort gelagert haben. Dazu musst du wissen, dass der Verkauf und das Lagern nicht strafbar sind, nur das Aufstellen. Walter Hartl hat vor sechs Jahren wegen eines Habichtfangkorbes eine Anzeige bekommen. Jetzt haben wir übrigens nichts gefunden. Überhaupt sind die Taubenzüchter allgemein sehr vorsichtig. Und im Übrigen gibt es unter ihnen wirklich nette Leute. Alle haben sie irgendwie Recht, und bei jedem klingt es plausibel. Das ist immer so bei Ermittlungen innerhalb verschiedener Interessensgruppen. Wir haben uns in den letzten zwei Tagen auf Taubenzüchter konzentriert. Nach außen hin tun viele so, als hätten sie sich mit der Situation abgefunden. Untereinander prahlen sie schon mal mit Zahlen, wie viele Habichte und Falken sie aus dem Verkehr gezogen haben. Und man kann sie ja auch ein bisschen verstehen«, meinte Felix. »Sie
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