Alle Zeit - Roman
Heim
drauf. Und den Rest können sie getrost zusammen verprassen.
Klara erzählt Aaron von alldem, was ihr in den letztenStunden eingefallen ist. Der ist erstaunt und auch ein wenig beunruhigt. Nicht, dass Klara jetzt noch einfällt, dass sie früher
nichts mit Juden zu tun haben wollte. Vielleicht. Manchmal denkt er ja, dass sie so eine war. Obwohl ihr Nachname. Aber was
spielt das für eine Rolle. Offensichtlich haben die Arier sie immer für eine Arierin gehalten im Krieg. Es ist egal, flüstert
Aaron in sein Cidreglas. Alle, denen das nicht gefallen könnte, sind tot.
Klara sagt, es müsse da noch ein Kind geben. Und wenn sie richtig gerechnet habe, dann dürfte das Kind inzwischen auch erwachsen
sein. Ganz jung zwar, aber erwachsen. Ich bin sicher, dass Elisa ein Kind hatte.
Das wäre doch dann bei der Beerdigung da gewesen, das Kind, mutmaßt Aaron und findet, dass dies alles kein angemessenes Thema
für diesen Nachmittag ist. Und für den Abend auch nicht. Er will Klara verführen. Nicht über Tote reden.
Ich war nicht da, Aaron. Ich war nicht bei der Beerdigung meiner Tochter und meiner Enkeltochter. Ich war. Irgendwo. Das weiß
ich nicht mehr. Ich kenne nicht einmal ihre Gräber.
Klara löffelt ihr Eis, als könnte dann alles wieder gut werden. Wenn sie nur aufisst und brav bleibt. Aaron schweigt. Was
soll er auch sagen. Er kennt die Gräber seiner Familie auch nicht. Das ist. Schicksal. Banal vielleicht, oder fürchterlich.
Aber eben auch nicht zu ändern. Nun muss er Klara wieder aufheitern, sonst wird es kein guter Tag und Abend. Er erzählt von
dem Warzengesicht und was der über die Kommunistenbräute gesagt hat.
Klara lacht. Dass der mal die Frauen betört haben soll, glaube ich nicht. Wahrscheinlich träumt er nur davon.
Aaron bezahlt Cidre und Eis und gibt der Kellnerin zum Abschied die Hand. Die schaut verwundert und noch mehr verlegen.
Wir sehen uns doch bestimmt bald wieder, sagt sie und beschwört für einen Moment eine Zukunft für sie drei.
Natürlich, sagt Klara. Und wenn Sie ein Mädchen mit grünen Haaren sehen. Die Kellnerin nickt und hebt den Daumen der rechten
Hand. Dann werde ich sie fragen, wie sie heißt. Und mir den Namen aufschreiben.
Klara ist froh. Und geht mit Aaron.
Im Hotel ist es ein bisschen hektisch. Eine Reisegruppe ist gekommen und macht Lärm im Foyer. Aaron zieht Klara ins Restaurant
und wählt einen Tisch ganz hinten in der Ecke. Hier kommt ein Kellner, der sie bedient. Aaron fragt Klara, ob sie einen Aperitif
möchte, und die bejaht, obwohl sie sich nicht sicher ist.
Zwei Glas Champagner, bestellt Aaron. Der Kellner nickt und reicht beiden je eine Speisekarte so groß wie der halbe Tisch.
Klara schlägt die Karte auf und weiß schon nach der ersten Seite, dass sie hier kaum ein Gericht kennt. Sie schaut zu, wie
Aaron aufmerksam liest.
Du wirst für mich bestellen müssen, Aaron. Klara ist erleichtert, dass sie auf diese Idee gekommen ist.
Aaron will wissen, ob sie gern Fisch ist. Und das tut sie. Also bestellt er, als der Kellner mit dem Champagner zurückkommt,
für beide eine Selleriesuppe und Lachsforelle und sagt, dass man mit dem Nachtisch noch warten wolle. Der Kellner schreibt
alles auf und fragt, ob er die Weinkarte bringen solle. Aaron nickt, und Klara ist plötzlich stolz auf ihn. Dieser Mann macht
wirklich etwas her. Sie kann es kaum glauben, dass er zu ihr gehört. Oder sie zu ihm.
Das ist ein Wunder, sagt sie, und Aaron tut so, als wüsste er, warum sie das sagt.
Sie reden nur wenig beim Essen. Aaron erzählt von seinen Söhnen. Und davon, dass er selbst früher als Ingenieur gearbeitet
hat. Ich habe Maschinen gebaut und einmalauch eine erfunden. Nicht ganz und gar. Nur die Verbesserung einer Maschine, die dann auch so gebaut wurde, wie ich es ausgedacht
hatte. Ich gehörte also eher so zur technischen Intelligenz.
Aber du kannst Klavier spielen, sagt Klara und schaut sich im Restaurant um, als wollte sie Aaron bitten, ihr etwas vorzuspielen,
wenn hier nur ein Klavier stünde.
Das schließt sich ja nicht aus, antwortet Aaron. Ich konnte nur besser Maschinen bauen als Klavier spielen.
Klara will keinen Nachtisch mehr, sondern die Rechnung. Sie hat ein Glas Champagner getrunken und zwei Gläser Wein. Die machen
sich jetzt bemerkbar. Und dazu kommt eine Erinnerung an Henriette, die ohnmächtig in der Küche liegt, weil Klara ihr eine
Schwangerschaft auf den Kopf zugesagt hat. Da war sie sechzehn,
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