Allein die Angst
Freitag
Kapitel 1 Callie
Das Wasser ist kalt. Das wusste ich schon vorher, auch wenn die Frühsommersonne Discokugel spielt und Lichtblitze durch die Weiden schießt, bis hinunter zum dunkelgrünen Samt des Teiches. Rasch ziehe ich den Fuß wieder heraus und rubble über die eiskalte Haut. An meinem Knöchel klebt ein kleines gelbes Blatt. Ich bin nicht sicher, ob ich da wirklich rein will.
»Da ist so schleimiges Zeugs drin«, sage ich.
Suzy macht denselben Schmollmund, mit dem sie Henry dazu bringen will, Brokkoli zu essen. »Ach was – ist doch goodie-goodie.« Wir lachen beide.
Sie erhebt sich zu ihren vollen Einsfünfundsiebzig, mit denen sie mich weit überragt. Mit einer einzigen flinken Bewegung streift sie ihr graues Frotteekleid über den Kopf und schleudert die Flip-Flops von den Füßen. Im schwarzen Bikini tritt sie ans Ufer und schaut auf das Wasser hinaus. Eine ältere Dame mit blauer Badekappe auf dem Stahlwollhaar gleitet mit langen, rhythmischen Schwimmzügen heran. Suzy lächelt und wartet geduldig, dass sie vorbeizieht.
Ich setze mich wieder und lehne mich auf die Ellbogen zurück. Auf dem Rasen sind etwa zwanzig Frauen, in kleinen Grüppchen oder allein. Manche lesen, andere unterhalten sich. Zwei liegen dicht beieinander, die Beine verflochten, und lachen. Mein Blick wandert wieder zu Suzy, die immer noch wartet, bis die Bahn frei ist. Erst nach einer ganzen Weile merke ich, dass ich ihren Körper anstarre. Obwohl ich ihn schon hundertmal gesehen habe, wenn Suzy in der Schwimmbadumkleide nackt den Kindern hinterherlief oder sich in der Küche das bekleckerte Top herunterriss. Nein, das Seltsame ist, ihren Körper einmal ohne Kind zu sehen. In den zweieinhalb Jahren, die ich Suzy jetzt kenne, klebte fast immer einer der Kleinen an ihr, nuckelte an ihrer Brust, saß auf ihrer Hüfte, zappelte unter ihrem Arm.
Plötzlich fällt mir auf, wie jung sie ist. Erstaunlich, wie sich ihr Körper von den drei Kindern erholt hat. Sie hat eine breite Taille, aber einen flachen Bauch ohne die geringste Andeutung des weichen Wulstes, den Rae auf dem meinen hinterlassen hat. Ihre vollen Brüste sitzen hoch und lassen sich, ohne den Halt nötig zu haben, vom Bikini höflich stützen. Ihre Haut ist sahneglatt, ihre Figur kräftig und athletisch. Sie holt tief Luft, und mit der Selbstverständlichkeit einer Schwimmerin, die ihre halbe Kindheit in den eisigen Bergseen Colorados verbracht hat, hebt sie die Arme und hechtet in Hampsteads Damenteich, dass eine Ente erschrocken aus dem Wasser stiebt.
Ich lege mich hin und versuche, mich auf die Umgebung zu konzentrieren. Eine Fliege summt vor meiner Nase herum. Hier am Teich herrscht tiefe Ruhe. Eine verborgene Welt hinter den Bäumen von Hampstead Heath, wo gutgelaunte Frauen fern von männlicher Gesellschaft schwimmen und sich in der Sonne rekeln. Eine ähnliche Atmosphäre vielleicht wie im Innersten eines Harems.
Ja, denke ich. Was könnte es Schöneres geben, als am Freitagnachmittag in der Frühsommersonne Londons zu sitzen, ohne sich um Kinder oder Arbeit kümmern zu müssen?
Aber ich fühle mich irgendwie unbehaglich.
Die heiße Sonne sticht mir fast unangenehm ins Gesicht. Um mich zu entspannen, versuche ich, den Geräuschen ringsum zu lauschen. Ich habe schon immer interessante Klänge gesammelt, habe das zarteste Summen, Echo, Windgeflüster abgespeichert, wenn es mir gefiel, für den Fall, dass ich es eines Tages brauchen könnte. Heute höre ich das Zwitschern einer Grasmücke, das leise Plätschern von Suzys Schwimmzügen, das Knacken eines Zweigs, als ein Eichhörnchen darüberläuft.
Es hat alles keinen Zweck. Egal, wie sehr ich die Beine dehne, die Spannung, die sich in Po und Schenkeln festkrallt, will nicht nachlassen. Meine Gedanken drehen sich im Kreis. Ich muss es Suzy sagen, darf es nicht länger verschweigen. Es gibt schon genug, was ich vor ihr geheim halte.
Ich setze mich wieder auf und halte nach ihr Ausschau. Sie ist bis zum anderen Ufer geschwommen und hat gerade gewendet.
Ach, was soll’s. Jetzt bin ich schon mal hier. Ich stehe auf, gehe zur Leiter hinüber und beginne, zimperlich ins trübe Wasser zu steigen. Eine Tafel informiert über tierisches Leben im Teich: Es gibt Krebse und Wasserschildkröten.
»Na also!«, ruft Suzy herüber und klatscht ermutigend in die Hände.
Ich zeige ihr meine Skepsis mit einem Augenrollen. Das Wasser, in das ich mich bibbernd hinunterlasse, ist kalt und erdig. Stück für Stück
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