Allein die Angst
nett, einfach dazuzugehören. Manchmal denke ich, wenn auch nur eine dieser Mütter Rae zu ihrem Kind nach Hause zum Spielen einladen würde, dann sänke ich vor ihr in die Knie und würde ihr die Füße küssen.
Die Tür geht auf, und Henry und Rae stürzen heraus; sie sehen schmutzig und geschafft aus. »Was hast du zu essen dabei?«, murmelt Rae. Ich gebe den beiden die Reiswaffeln, die ich immer in der Handtasche habe. Rae hat rote Farbe in den mausbraunen Haaren und klebrige Hände, als hätte sie sie den ganzen Tag nicht gewaschen. Wie üblich suche ich ihre Augen nach Alarmzeichen ab. Ist sie übermüdet? Zu blass? Ich nehme sie auf den Arm und drücke sie fest an mich, küsse ihr Gesichtchen ab, bis sie sich lachend windet.
»Alles klar bei dir, Henry?«, frage ich. Er wirkt zugleich fertig und aufgedreht und späht hinter mich, ob Suzy da ist. Wäre sie da, würde er längst herummotzen, dass es ihm überhaupt nicht passt, wenn sie ihn so lange allein lässt. Ich setze Rae wieder ab und drücke Henry an mich zum Zeichen, dass ich ihn verstehe. Seufzend lehnt er sich kurz an mich an. Dann witschen die beiden zur Tür hinaus, an ihren Reiswaffeln kauend wie junge Hunde an einem Knochen.
Am Schultor rennt Henry los. Das tut er jeden Tag, aber ich bin so damit beschäftigt, die Bilder, die die beiden gemalt haben, in meiner Handtasche zu verstauen, dass er mich überrumpelt. »Henry!«, schreie ich. Ich jage ihm nach, schlage auf dem Gehweg einen Haken um einen Mann, eine Frau und zwei Mädchen und packe Rae, die Henry blindlings gefolgt ist. Der Mann dreht sich um. Es ist Matt, ein geschiedener Vater aus einer anderen Klasse. Oder
der heiße Typ, den Callie sich krallen muss
, wie Suzy ihn nennt. Und ich habe ihm gerade ins Ohr gebrüllt.
»Tut mir leid!« Ich hebe entschuldigend die Hand. Er grinst cool und reibt sich über den frisch geschorenen Kopf. Jetzt werde ich auch noch rot, was mir grauenhaft peinlich ist. »Blöde Kuh, blöde Kuh, blöde Kuh«, knurre ich vor mich hin. Träum weiter.
Ich hole Henry erst auf dem Spielplatz hinter der Schule ein. »Henry«, ermahne ich ihn, »du darfst nicht so losstürmen. Denk dran, dass Rae dir folgt und dass es gefährlich für sie ist, wenn sie hinfällt.«
Er zuckt mit den Achseln, quetscht ein »’tschuldigung« hervor und springt auf eine Schaukel. Im Stehen nimmt er ruckartig Schwung, als wolle er seine überschüssige Energie aus sich herausschütteln wie Ketchup aus der Flasche. Rae setzt sich auf die Schaukel daneben und spielt mit der winzigen Puppe, die sie immer mit in die Schule schmuggelt, egal, wie gründlich ich sie vor dem Aufbruch absuche. Angst flackert in mir auf. Sie ist so verletzlich.
Henry und Rae reden nicht viel miteinander. Aber laut ihrer Lehrerin sind sie wie durch einen unsichtbaren Draht verbunden. Wo der eine ist, ist der andere nicht weit – genau wie ich und Suzy.
Ich frage mich manchmal, wie das für Rae ist. Empfindet sie vielleicht ähnlich wie ich?
Ich beobachte Rae, denke über Suzy nach und bringe es nicht über mich, mir auszumalen, wie es für die beiden sein wird, wenn ich nicht mehr da bin.
Kapitel 2 Suzy
Er war also wieder zu Hause.
Kaum hatte Suzy um Viertel vor vier die Haustür in der Churchill Road Nr. 13 geöffnet, sah sie an den Schuhen, die mitten in der Diele lagen, dass Jez’ Besprechung mit Don Berry in der Stadt früher geendet hatte als geplant.
»Okay, ihr Äffchen.« Sie entließ Peter und Otto aus dem Klammergriff, mit dem sie sie vom Auto ins Haus getragen hatte. Ohne ihr breites Lächeln zu unterbrechen, mit dem sie die beiden Kleinen in Schach hielt wie mit einem magischen Traktorstrahl, damit sie nach dem Kindergarten nicht völlig überdrehten, kickte sie die Slipper ihres Mannes in das Schuhregal, zwischen die Reihen bonbonbunter Sandalen. »Wer will was zu trinken?«, rief sie, während sie Jez’ Sakko vom Treppengeländer nahm und an die Garderobe hängte. Die Jungs nickten benommen. »Und wer will einen Keks, den Mummy gebacken hat?«, knurrte sie mit albern verstellter Stimme. Wieder nickten die Jungs, zunehmend begeistert. »Supi!«, rief sie und kitzelte die beiden, als sie in die Küche abzogen.
Peter lachte.
Otto schrie und schlug ihre Hand weg; seine braunen Augen blitzten warnend.
Dieser Kleine braucht heute mehr Zuwendung, erkannte Suzy.
»Na, Kumpel?« Sie nahm ihn wieder auf den Arm. Er wehrte sich, quiekte zornig und riss sie an den Haaren.
»Nein«, murmelte sie
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