Allein in der Wildnis
Aber da die Türen unseres Gebäudes erst um acht Uhr aufgeschlossen wurden, bekam ich noch genug davon ab. Da saß ich im überheizten Bus, starrte auf den verdreckten Beton und Asphalt hinaus, der die kristallene Weiße und Reinheit des Schnees und Eises im Winter nicht kannte, und beobachtete die ausdruckslosen Gesichter um mich. Sie waren alle in die Morgenzeitung oder den Börsenbericht vertieft, lösten Kreuzworträtsel, blätterten durch Krimis, strickten, überflogen Geschäftsberichte. Irgendein Instinkt, irgendeine innere Uhr mußte ihnen sagen, wann sie auszusteigen hatten. Nie habe ich jemanden seine Haltestelle verpassen sehen.
Niemand lächelte oder plauderte in diesen Bussen. Niemand zeigte Manieren. Eines Morgens stieg ein Blinder zu, mit dem Stock tastend. Der Bus war voll, aber kein Mensch machte Anstalten, ihm einen Platz anzubieten. Nach ein paar Sekunden sprang ich auf und half ihm, sich hinzusetzen. Gesichter hoben sich, schauten mich an. Ich hätte nicht übel Lust gehabt, laut zu brüllen: »Ihr selbstsüchtigen Idioten! Habt ihr denn kein Fünkchen Bruderliebe mehr?«
Abends wurde unser Gebäude abgeschlossen, um Raubüberfällen und Vergewaltigungen vorzubeugen. Ich war gezwungen zu gehen, ganz egal, in welche Gedankengänge oder Gespräche ich gerade vertieft war. Oft fragte ich mich, was unter solchem Zeitzwang aus den kreativen Stimmungen und Impulsen werden würde, nach denen ich in der Hütte einen großen Teil meines Lebens ausrichtete.
Noch schlimmer war es freitags. Die Leute im Bus trugen dann alle ihr Freitagabendgesicht, ausgelaugt von einer Woche Bürostreß ohne körperliche Bewegung. Ich sah so viel Depression, Erschöpfung, Verwirrung und Einsamkeit, daß ich freitags aufhörte, mit dem Bus zu fahren, und mir ein Taxi leistete. Aus diesen Gesichtern und aus dem Monat Alleinsein in Sallys und Lorens Haus lernte ich, daß man in der Großstadt ebenso einsam sein kann wie im tiefsten Wald. Menschenmassen bieten ebensowenig Gewähr gegen Vereinsamung wie Baummassen.
Immerhin gab mir das Busfahren Gelegenheit zu vergleichenden Studien in »Bewegungseffizienz«, wobei Washington, D.C., erheblich schlechter abschnitt als der Black Bear Lake. Vom Haus in Georgetown bis zu meiner Arbeitsstätte (drei Blocks Fußmarsch zum Bus, Busfahrt in die City, weitere drei Blocks Fußmarsch, Fahrstuhl zum Büro) brauchte ich meist ebensolange wie von meiner Waldhütte zum vierzig Kilometer entfernten Lake Serene (mit Boot oder Schneemobil über den See, dann mit dem Wagen). Regnete oder schneite es morgens stark, dauerte die Busfahrt sogar so lange wie ein Trip vom Black Bear Lake zur nächsten Großstadt!
Weiter sah ich, daß das Großstadtleben nicht gerade ein umweltfreundliches, sparsames Wirtschaften fördert. Wie oft beobachtete ich, daß Sally schnell mal mit dem Wagen zum nächsten Lebensmittel- oder Krämerladen oder zur nächsten Apotheke sauste, um irgend etwas zu besorgen, das sie beim Großeinkauf vergessen hatte. Bei der Hütte zählte jede Fahrt. Abfall, Schmutzwäsche, leere Benzinkanister und Tanks, Post und Pakete gingen hinaus; Lebensmittel, Medikamente, gereinigte Wäsche, Benzin und Batterien kamen herein. Was man vergaß, mußte bis zum nächstenmal warten.
Abends, nach der Arbeit, nach dem Abendessen und den Nachrichten, waren lange Spaziergänge mit Pitzi meine Hauptzerstreuung. Hierin hielt ich mich nicht an die Warnung meiner Gastgeber. Statt mich vor ihren großen Farbfernseher zu hocken und vielleicht »süchtig« zu werden, ließ ich mich lieber auf ein Glücksspiel mit dem nächtlichen Washington ein. Ich wollte kein »Fernsehentzugssyndrom« bekommen, wenn ich wieder in meine nichtelektrifizierte Hütte zurückkehrte. Außerdem sehnte ich mich nach körperlicher Bewegung. Pitzi und ich sind auf unseren Märschen nie einem Schläger, Vergewaltiger oder Mörder begegnet; allerdings hielt ich stets die Augen offen, trug Laufschuhe und führte mein Jagdmesser mit. Ich hatte nicht die geringste Lust, meinen Hund erschießen zu lassen, während er mich verteidigte, oder mich wehrlos einem Angriff zu überlassen.
In der Nähe entdeckten wir einen netten bewaldeten Park, wo wir abends oft hingingen. Der Park enthielt einige der größten Eichen, die ich je gesehen habe; offenbar stammten sie von einem alten kolonialen Herrensitz. Wenn ich Heimweh hatte, pflegte ich einen dieser geduldigen Giganten zu umarmen und dabei an meine Tannen zu denken und an den Frieden und
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