Allein unter Muettern - Erfahrungen eines furchtlosen Vaters
Laufe des Tages vom Anziehen (»Wie häufig soll ich dir noch sagen, dass wir jetzt endlich zum Kindergarten müssen«) über den nachmittäglichen Einkauf (»Jetzt komm doch mal endlich von diesem blöden Regal weg«) bis in die Abendstunden (»Ich sag’ das jetzt zum letzten Mal«). Und auf das wiederholte mütterliche »Wie oft soll ich dir das noch sagen« glaubt man zuweilen nur ein hilflos-stummes »Am besten gar nicht mehr« vernehmen zu können.
Mit etwas gedanklicher Flexibilität lassen sich diese kommunikativen Zurechtweisungen mit den diplomatischen Interventionen gegen das Atomprogramm des Iran vergleichen: Je häufiger man sie unternimmt, desto weniger Eindruck scheint man damit auf die Betroffenen zu machen. Auf die sprachliche Auseinandersetzung bezogen heißt dies, dass die Kinder die Mutter immer weniger hören, weil immer weniger wahrnehmen (das erinnert mich an meinen alten Hals-Nasen-Ohren-Arzt, der mir bereits vor geraumer Zeit einmal eine »nichtorganische Schwerhörigkeit« attestierte, die bei langjährigen Ehen zwischen den Partnern durchaus häufiger zu beobachten und deshalb zumindest in medizinischer Hinsicht völlig harmlos sei). Und bei Jungen scheint diese Reaktion auf das mütterliche Reden deutlich ausgeprägter zu sein als bei Mädchen. Diese plaudern ab einem gewissen Alter mit ihren Müttern (das leidenschaftliche Aneinandervorbeireden der Pubertät ist zu diesem Zeitpunkt noch in weiter Ferne), sie reden also mit, werden geschlechtsspezifisch kommunikativ sozialisiert. Häufig sehe ich Mutter und Tochter fröhlich plaudernd durch die Straßen ziehen. Dass dabei in vielen Fällen die Gespräche mit den Kindern eigentlich Selbstgespräche sind, auf die es keine sinnhaften Antworten gibt (»Also an manchen Morgen komme ich gar nicht heraus«), ist sowohl für den Prozess der Interaktion wie für das Ergebnis absolut zweitrangig. Auch kleine Mädchen sind mit belanglosen Bemerkungen überraschend schnell bei der Hand. Gelernt ist gelernt.
Während also die kleinen Mädchen schnell lernen, fallen die Jungs hinsichtlich ihrer Gesprächsbereitschaft den Müttern rasch unangenehm auf. Hier erhebt oft genug schon die Angst vor dem zukünftigen Bildungsversagen ihr grässliches Haupt – schließlich sind doch die Jungen die Problemkinder an unseren Schulen. Sind also Jungen wirklich maulfauler? Schweigen sie, wo Mutter, Familie und Gesellschaft eigentlich drängend Antworten erwarten? Wer sich umschaut, muss genau diesen Eindruck gewinnen. Hören wir doch einmal hin: Den Klassiker dieser Beobachtung bildet das mütterliche Kopfschütteln über die angeblich so schweigsamen Söhne, wenn es um die Erlebnisse des Vormittags geht. Beispiel Kindergarten: »Meiner erzählt ja nie etwas aus dem Kindergarten. Typisch Junge!« – »Ist bei meinem genauso!« Der Knabe bekommt einfach die Zähne nicht auseinander; und dies – so die Analyse –, weil er halt ein Junge ist.
So weit die Analyse. Aber schauen wir uns der Gerechtigkeit halber auch mögliche andere Gründe an: Wer will zum Beispiel jeden Tag ausgefragt werden, was er getan und erlebt hat, sobald er in den Kreis der Familie zurückkehrt? Und dann auch noch die Qualität der Fragen: »Wie war’s denn?« Oder: »Was habt ihr denn so gemacht?« Und auf jeden Fall: »War’s schön?« Auch die Rückkehr von einem eigentlich harmonisch verlaufenen Kindergeburtstag kann da zur Qual werden; die Rückfahrt im Auto endet gerne mal in der mütterlichen Anklage: »Du erzählst aber auch nie was.« Aber wer will auf solche Fragen schon antworten? Und überhaupt: Was gibt es denn von einem stinknormalen Kindergartentag zu erzählen? Dass man mit dem und dem im Sandkasten gebuddelt hat? Dass die Erzieherinnen mit ihnen gemeinsam »Backe, backe Kuchen« gesungen haben? Lohnen solche Ereignisse wirklich das Sprechen? Verlangen die wirklich wichtigen Dinge des Lebens angesichts solcher Nichtigkeiten nicht geradezu gebieterisch das Schweigen? Sind uns schweigende Jungen im Umgang mit der kostbaren Ressource Sprache vielleicht in dieser Hinsicht nur ein Stück voraus? Und abgesehen davon: Wenn wirklich was Wichtiges passiert wäre, hätte der Kindergarten mit Sicherheit zuhause angerufen.
Die Betrachtung dieser mütterlichen Konstruktion vom schweigenden Geschlecht machte mir zugleich deutlich (und dafür bin ich dankbar), wie sehr ich doch ein Mann bin: Mit meinen Söhnen kann ich tatsächlich schweigen. Es kommt vor, dass wir nachmittags über
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