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Aller Anfang ist Mord

Titel: Aller Anfang ist Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Maria Herrmann
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Saalfeld. „Du warst das? Du hast die anonymen Briefe an Huber geschrieben?“
    Saalfeld nickt.
    Ich greife hektisch nach den Papieren in Grulichs Hand. „Lass mich das sehen“, sage ich.
    Grulich zieht die Hand weg und wirft mir einen verärgerten Blick zu. „Er hat uns tatsächlich selber mitgeteilt, dass er wieder nach Deutschland kommt, damit seine Familie ihn pflegen kann. Absurd … Auch das Zerwürfnis mit seinem Sohn und die Entscheidung hier in den Altenstift zu gehen, all das steht hier in den Blaupausen der Briefe.“ Grulich lacht leise, es klingt bitter und gleichzeitig erstaunt.
    Nach dem Lachen wird es still. Homann lässt sich auf die gepolsterte Lehne des Sofas sinken, mit einer Hand stützt er sich an der Vitrine ab. Ich sehe, wie sein Kehlkopf rhythmisch auf und nieder hüpft, obwohl er nichts sagt.
    Grulich hat sich zum dunklen Fenster umgedreht, in der Hand hält er weiterhin die Briefe.
    Irgendwo tickt eine Uhr. Das ist ein Scheißtrick, denke ich, Saalfeld spielt mit uns. Plötzlich spüre ich auch das Gewicht der Waffe in meiner rechten Hand wieder. „Lena wurde nicht mal drei“, sage ich. „Und davon steht nichts in deinen Scheißbriefen.“ Ich hebe den Arm mit der Waffe. „Mathilde konnte es nicht mehr ertragen. Jede Nacht diese Träume – der Donner, der Blitzschlag in unser kleines Haus, das sofort in Flammen stand, die brennende Treppe zu Lenas Zimmer. Noch vor Weihnachten hat sie sich damals umgebracht.“
    „Hör auf, bist du verrückt?“ Homann ist aufgesprungen und schreit.
    Grulich sieht, dass ich auf Saalfeld ziele. Er geht einen Schritt auf mich zu, hebt beschwichtigend die Hände. „Bitte“, sagt er. „Bitte, lege die Pistole weg.“
    Ich schüttele den Kopf. Mit der freien Hand mache ich eine Bewegung, dass er zur Seite gehen soll. Auf dem Flur höre ich Schritte. Es klopft. „Herr Saalfeld, alles in Ordnung?“ Jemand versucht den Türgriff herunterzudrücken, unter den wir vorhin einen Stuhl geschoben haben.
    „Georg, bitte, was ist los? Was ist das für eine Geschichte mit deiner Familie? Du hast immer erzählt, deine Frau wäre bei einem Unglück …“ Grulich unterbricht sich, wird plötzlich weiß im Gesicht. „War das auch an diesem Tag, dasselbe Gewitter …?“
    Ich nicke. „Oben brannte sofort alles nach dem Einschlag, es ging so schnell. Das Telefon funktionierte noch. Ich habe angerufen. Erst die Feuerwehr im Ort, dann die Nachbargemeinden. Es war niemand da. Verstehst du, alle waren draußen in Schönfeldsdorf, bei eurem Kindergarten. Irgendwann kam ein einzelner Polizeiwagen. Wir haben dann Mathilde gesucht, die schreiend in den Wald gelaufen war.“
    Homann wirft mir einen Blick zu, den ich nicht zu interpretieren weiß.
    Grulichs Stimme zittert. „Warum … mein Güte, das ist ja furchtbar … warum hast du uns davon nichts erzählt?“
    „Keine Ahnung“, sage ich, und es stimmt sogar. In der Zeit nach Lenas Tod habe ich versucht, irgendwie weiter zu leben. Vergessen, dachte ich damals, wäre das Beste für Mathilde und mich, vielleicht sogar irgendwann wieder ein Kind haben. Aber das hat nicht funktioniert, war völlig falsch. Ich habe das erst durch Mathildes Freitod begriffen. Mein weiteres Leben habe ich wie eine verdiente Strafe geführt, mich zurück gezogen und kaum mit jemandem gesprochen. Erst hier im Altenstift, Jahrzehnte später, erfuhr ich durch Huber von den tatsächlichen Zusammenhängen. Ja, und somit hatte ich plötzlich einen Schuldigen ausgemacht und mit Huber verband mich ein gemeinsames Ziel.
    „Ich konnte es niemanden erzählen, weil ich mir nicht sicher war, ob ich es dann noch fertigbringen würde – ja, ich glaube, ich wollte mir meine Wut einfach erhalten“, antworte ich schließlich auf Grulichs Frage.
    „Für ihn meinst du?“ Grulich deutet mit dem Kinn auf Saalfeld.
    „Ja, für ihn. Ursprünglich jedenfalls“, sage ich. Auf dem Flur höre ich verschiedene Stimmen, die durcheinander brüllen. Fäuste hämmern gegen die Zimmertür. Ich gehe langsam zum Fenster. Ich brauche Luft und reiße die Fensterflügel auf. In meinem Kopf lauert der Schmerz klein und spitz. Ich spüre, die nächste Attacke wird heftig sein. Homann, hinter mir, ruft etwas, aber ich drehe mich nicht um, sehe hinaus in die Weite vor dem Fenster.
    Es schneit nicht mehr. Das rote Flimmern vor meinen Augen mischt sich mit weißer Landschaft. Eine sanfte, helle Decke, die alles umhüllt, und unter die ich kriechen möchte. Die Kante des

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