Aller Heiligen Fluch
sie sich ab, um mit Michelle in Richtung Ausgang zu gehen.
Michelle hält sie mit einer gebieterischen Geste auf. «Willst du denn nicht zu ihm?»
«Doch … aber … ich dachte …»
Michelle deutet auf eine Tür links von ihnen. «Er ist da drin. Sie lassen dich bestimmt rein. Na los. Bring Kate zu ihm.»
Judy räumt auf. Sie hat gerade eine intensive Befragung durch Whitcliffe absolviert und fühlt sich, als hätte sie mehrere Jahre nicht geschlafen. Len Harris ist am Flugplatz von King’s Lynn aufgegriffen worden, wo er ein eigenes Flugzeug stehen hat. Wahrscheinlich ist er zum Rennstall zurückgekommen, hat dort die Polizeiautos gesehen und die Flucht ergriffen. Jetzt ist er gerade dabei, alles zu gestehen. Tamsin ihrerseits ist seelenruhig nach London zurückgefahren, um dort ihr Leben als unbescholtene Anwältin und zweifache Mutter wiederaufzunehmen. «Das Haus hätten Sie sehen sollen», hat einer der Kollegen aus London Judy am Telefon erzählt. «Wie aus dem Katalog, perfekt bis ins Letzte, ein Range Rover und ein BMW in der Garage, die Kinder beide auf Privatschulen. Arme Würmchen. Die haben mir wirklich leidgetan, wie sie da mit ihren Strohhütchen zur Schule abgezogen sind, während ihre Mutter ins Gefängnis wandert.»
Ob Tamsin den Drogenschmuggel wohl deshalb initiiert hat, um ihre Kinder mit Strohhüten auf eine Privatschule schicken zu können? Das erscheint Judy als Grund nicht ganz ausreichend. Tamsin kommt aus einer reichen Familie, sie hat offensichtlich hart gearbeitet, um sich eine eigene Karriere zu schaffen. Ihr Mann ist ein erfolgreicher Banker. (Judy fragt sich, ob er wohl von der Sache wusste oder ob er geglaubt hat, die Autofee hätte den Range Rover und den BMW gebracht.) Eigentlich sollte man meinen, dass es Tamsin an nichts hätte mangeln dürfen, auch ohne dass sie zur Verbrecherin wird. Vielleicht will man ja umso mehr, je mehr man hat? Oder das Abenteuer hat sie gereizt, der Gedanke, vor der Nase ihres Vaters und ihrer Schwester komplexe illegale Geschäfte durchzuziehen. Oder aber es war ihr zu viel, dass es immer nur um die Pferde ging. Laut Caroline ist nämlich Tamsin die Einzige, die sich tatsächlich nichts aus Pferden macht. Randolph war Amateur-Jockey, Caroline hat ohne viel Lohn und Anerkennung im Reitstall geschuftet, doch Tamsin konnte die Pferde nie leiden.
Sie hatte sich so weit wie irgend möglich von der Welt des Ausmistens, der Ausritte im Morgengrauen und der endlosen, mühseligen Plackerei entfernt, nur um sich von Len Harris, der über einige Erfahrung sowohl mit Pferden als auch mit Drogen verfügt, wieder zurücklocken zu lassen. Harris allerdings behauptet, es sei alles von Tamsin gekommen, bis hin zu dem Vorschlag, die Pferde zum Schmuggeln von Drogen zu missbrauchen. «Das hat ihr einen Riesenspaß gemacht.» Er behauptet, Tamsin habe ihn zum Mitmachen gezwungen, er habe nur ihre Befehle befolgt. Doch je mehr Judy darüber erfährt, wie das Ganze tatsächlich abgelaufen ist, desto weniger Mitgefühl empfindet sie für Harris. Manchmal wurden die Drogen mit Hilfe eines Schlauchs in den Magen der Pferde gebracht (daher auch das Kondom im Pferdemist), doch bei Stuten wurden sie oft auch in die Scheidenöffnung eingeführt, die dann zugenäht wurde, damit die Schmuggelware an Ort und Stelle blieb. Anscheinend ist dieses Zunähen bei Zuchtstuten eine Standardprozedur, sodass es nicht weiter auffiel. Judy wird allein bei der Vorstellung schon ganz schlecht. Derzeit streitet Tamsin aber noch alles ab.
Die Reaktion von Romilly Smith, die am Dienstagmorgen nach Hause kam und etliche Streifenwagen in ihrer Einfahrt vorfand, ist sogar noch interessanter. Sie wirkte nicht im Mindesten überrascht zu hören, dass ihre älteste Tochter Drogen geschmuggelt und mit Unterstützung eines Komplizen versucht hat, zwei Polizeibeamte zu ermorden.
«Arme Tammy», meinte sie nur und ließ sich in einen Sessel sinken. «Ich habe ihr einfach nicht genügend Aufmerksamkeit gegeben.»
«Blödsinn», erwiderte Randolph, der immer noch wie Ben Hur höchstpersönlich umherstürmte. «Sie ist einfach nur habgierig. Und sie wollte uns eins auswischen. Uns zeigen, wie blöd wir sind.»
Besonders seltsam fand Judy aber, dass kein Mensch wissen wollte, wo Romilly die ganze Nacht gesteckt hat. Sie trug Jeans und einen schwarzen Pulli und sah für Judys kritischen Blick reichlich zerzaust aus. Wo war sie die Nacht über? Bei einem Liebhaber? Caroline ist anscheinend im
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