Aller Heiligen Fluch
Ausstellungsstücken des Museums vor, die entfernt wurden, weil sie reparaturbedürftig sind oder weil sie auf irgendeine Weise den Anforderungen nicht mehr entsprechen. Er zwängt sich durch zwischen einem ausgestopften Biber und einem schielenden Wikinger, dessen Helm nur noch ein Horn hat. Auf dem Boden liegen Werkzeuge durcheinander. Vielleicht wollte Topham seine Exponate ja selber reparieren?
Der Schreibtisch liegt voll mit Papier, was Nelson nervös macht; sein eigener Schreibtisch im Polizeirevier King’s Lynn ist grundsätzlich leer, bis auf die unvermeidliche Erledigungsliste. Nelson liebt Listen, und er hat den Eindruck, dass die eine oder andere Liste auch Neil Topham gute Dienste geleistet hätte. Womöglich hätte sie sogar den Mord verhindern können. 1 . Zur Arbeit gehen. 2 . Büro aufräumen. 3 . Nicht von messerschwingenden Psychopathen ermorden lassen. Aber da ist ja weit und breit kein Messer, und er kann nicht einmal sicher sein, dass Neil Topham wirklich ermordet wurde. Irgendwann muss er dieses Büro hier gründlich durchsuchen. Aber jetzt erst mal Ruth Galloway.
Die Tür geht auf. «Du hast nach mir geschickt?» Ruths Stimme trieft vor Sarkasmus.
«Ich dachte, hier können wir uns in Ruhe unterhalten.»
Ruths spöttische Miene wird ein wenig … wie soll man sagen? Misstrauischer? Verletzlicher?
«Also dann.» Nelson räumt ein Stück Schreibtisch frei, indem er ein paar alte Ausgaben von
Museums Today
beiseiteschiebt, und bedeutet Ruth, sich zu setzen. «Wann genau warst du im Museum?»
«Machst du dir denn keine Notizen?» Da ist er wieder, der sarkastische Ton.
Nelson zückt schwungvoll sein Notizbuch. Dann nickt er auffordernd.
«Ich war gegen vierzehn Uhr sechzehn hier …»
«Ziemlich früh, was? Ich dachte, die Fete sollte erst um drei losgehen.»
«Ich war noch einkaufen. Da hat es sich nicht mehr gelohnt, nach Hause und wieder zurück zu fahren.» Sie sieht ihn an. «Kate hat doch morgen Geburtstag. Ich habe für ihr Fest eingekauft.»
Für einen langen Moment herrscht Schweigen. Nelson zuckt unter ihren Worten zusammen wie unter echten, körperlichen Schmerzen. Und dann, als setzten sie eine vor langer Zeit begonnene Unterhaltung fort, fangen beide gleichzeitig an zu reden.
«Entschuldige …»
«Ich wollte dich nicht …»
Sie brechen beide wieder ab. Ruth ist rot im Gesicht, Nelson sehr bleich. Sie schaut zur Seite. Das einzige Fenster befindet sich weit oben in der Wand und ist zu klein, um im Sitzen hinauszusehen, aber Ruth hält den Blick dennoch darauf gerichtet.
«Ich wollte dich nicht aufregen. Ich weiß ja, dass du nicht über sie reden willst.»
«Das stimmt doch nicht.» Nelson betrachtet den unordentlichen Schreibtisch und fängt an, wahllos einzelne Gegenstände herumzuschieben. Einen Briefbeschwerer mit einer Versteinerung hierhin, einen Stapel ungeöffneter Rechnungen dorthin. «Es ist nur …» Er hält inne. «Ich hab’s versprochen.»
«Ich weiß. Du hast Michelle versprochen, dass du sie nicht mehr siehst.» Ruths Ton ist ausdruckslos. «Und mich auch nicht.»
«Es war die einzige Möglichkeit, meine … es wiedergutzumachen.»
«Ich verstehe das. Das habe ich dir damals doch auch gesagt.»
«Du verhältst dich toll. Ich bin das Problem.» Er greift wieder nach dem Briefbeschwerer und lässt einen Seufzer hören, der fast ein Stöhnen ist. «Ich hab’s für uns alle in den Sand gesetzt.»
«Komm, Nelson, spiel hier nicht den katholischen Sündenbock.» Ruth zieht ihr Handy aus der Tasche, um nachzusehen, wie spät es ist. Ein neues Handy, wie Nelson bemerkt. Ein ziemlich schickes. «Bringen wir’s hinter uns. Wenn mich nicht alles täuscht, hast du hier eine Ermittlung zu leiten.»
«Von mir aus.» Nelson strafft die Schultern. «Du warst also um vierzehn Uhr sechzehn hier. War sonst noch jemand da?»
«Nein. Das fand ich seltsam. Schließlich war es keine Stunde mehr bis zur Veranstaltung. Aber nachdem kein Mensch da war, dachte ich mir, ich schaue mich ein bisschen um. Ich war in der naturhistorischen Abteilung …»
«Wo die ganzen ausgestopften Viecher stehen?»
«Genau.»
«Da krieg ich ja das kalte Grausen.»
«Ich auch. Dann bin ich in den Saal für Lokalgeschichte gegangen, und da lag er, neben dem Sarg.»
«Hast du ihn erkannt?»
«Erst nicht, aber dann habe ich ihn umgedreht …» Ruth hält inne.
«Alles klar? Willst du ein Glas Wasser?»
Sie lächelt schwach. «Ist das deine Samthandschuhtaktik bei Verhören?
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