Aller Tage Abend: Roman (German Edition)
Wie ein dickes Seil, das man durch eine zu enge Öffnung hindurchzieht.
Finden und finden, hat ihm sein Freund bei der Hochzeit gewünscht, zweiundsiebzig Jahre zuvor, und so dauert das Finden bis heute an, finden, die Weisheit in der Tora, finden, eine gute Frau, finden, ein friedliches Leben bis zur letzten Schaufel Erde, die auf den Leichnam geworfen wird, finden, einen Tod, der leicht ist wie ein Kuss, wie der Kuss, mit dem der Herr Adam zum Leben erweckt hat, Atem hat er ihm durch die Nase geblasen, und küsst den Atem, wenn man Glück hat, eines Tages sanft und leicht wieder fort. Finden aber auch, denkt er jetzt, wenn man ein dringendes Bedürfnis hat, einen Abort, und grinst sein greises, zahnloses Grinsen. Ich muss mal, ruft er nach draußen, denn ohne die Hilfe der Frau, die seine Braut war, als der Freund ihm mit dem Wort finden Glück gewünscht hat, zweiundsiebzig Jahre zuvor, kann er nicht mehr aufstehen.
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G rau ist das Wasser, grau, und er übergibt sich, wem eigentlich übergibt man sich, wenn man sich übergibt, denkt er, als er den Kopf kurz hebt, aber dann ist ihm wieder so schlecht, so schlecht, wie ihm in seinem ganzen Leben nicht war. Seine Frau hatte ihm einmal erzählt, dass sie als Kind lange Zeit überzeugt war, die Welt sei flach wie eine Palatschinke, und gerade sie sei, wie auch die anderen Bewohner der Grenzstadt, an den äußersten Rand dieser Palatschinke gestreut, ein Körnchen Zucker. Hatte sie sich in der Umgebung des Städtchens verirrt, war ihre einzige Angst, dass sie der Grenze zu nahe kam und plötzlich über den Rand fiel. Mein Körnchen Zucker. Dabei war ihr Horizont, wie sie später in der Schule erfuhr, nichts weiter als eine gedachte Linie, die sich über Russland hinzog. Solange man an einem Fleck blieb, war das wirklich schwer zu verstehen, auch für ihn, den jungen Beamten, der sich sogar von Berufs wegen um die Eisenbahn, das heißt also um die Fortbewegung der Menschheit, hatte kümmern sollen. Eigentlich wird ihm erst hier, auf diesem schwankenden Schiff, tief innerlich klar, was es heißt, die Erde sei eine Kugel. Nicht allein, dass ihm schwindlig ist von ihrer Rundung, dass er um sie kreist und das Kreisen nicht aushält, sondern auch, dass sich der Horizont zugleich vor ihm, der in Bewegung ist, immer weiter hinausschiebt, so als bliebe das schwankende Schiff ihm zu Fleiß auf der Stelle, damit er, der Reisende, immer gleich weit von seinem Ziel entfernt wäre, als liefe das Ende vor ihm, der davonläuft, davon, und machte, während er sich bewegt, seine Bewegung sogleich wieder zunichte. Das Wasser ist grau, und ihm ist sehr schlecht, ebenso schlecht wie mehreren andern, die neben ihm stehen und sich gleichfalls übergeben. Der Wind weht aus der Richtung, in die das Schiff fährt, er zerrt an den Schößen des kaiser- und königlichen Mantels und macht dem, der bis vor kurzem Beamter auf Lebenszeit war, den Rücken kalt, indessen der, über die hintere Reling gebeugt, seiner Heimat zum Abschied alles vererbt, womit sie ihn ernährt hat. Nach zwei oder drei Tagen klinge die Übelkeit ab, sagt hinter ihm jemand, es ist der Herr, mit dem er die Kabine zweiter Klasse teilt, ein Schweizer, der spaziert eben über das Deck und reicht ihm, als er sieht, dass es nottut, ein Taschentuch, danach werde es besser. Der Herr ist ans Reisen offenbar schon gewöhnt, er hält seinen Haarschopf in den Wind und zieht jetzt einen Apfel hervor, ihm mache die frische Luft ganz im Gegenteil Appetit, sagt er, beißt ab und bietet dem jungen Mann auch einen Apfel an, nein danke, sagt der und wendet sich wieder der See zu, verstehe, sagt der Apfelbesitzer, und wirft das zweite runde Ding von der Galerie hinunter zu den Reisenden letzter Klasse, unten im Frachtraum, die sicher Hunger haben, allerdings keinen Zugang zu einer eigenen Reling, um sich, wenn ihnen schlecht wird, zu übergeben.
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U nd sie? Sie wiegt ungefähr drei Jahre lang Heringe ab und Äpfel, reicht Brot, Milch und Zündhölzer über den Tresen.
Du kannst doch den Leuten nicht immer so lang ins Gesicht schauen.
Es gibt ja sonst nichts zu sehen.
Das gehört sich nicht. Das machen nur Kinder.
Es hat sich noch niemand beschwert.
Die Gmora kommt seltener her, und auch der Veitel.
Du führst wohl Buch.
Das nicht, aber ich hab ein Gespür für die Kundschaft.
Und ich wohl nicht.
Grundsätzlich schon.
Ich kann es auch lassen.
Jetzt sei doch nicht immer so schnell beleidigt.
Ich bin nicht beleidigt, aber wenn
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