Alles auf Anfang Marie - Roman
blieben im Großen und Ganzen dieselben, und die würden es nicht kommentarlos durchgehen lassen, wenn ich zu zwei ähnlichen Events dasselbe Kleid tragen würde. Natürlich nett verpackt in Bemerkungen wie: »An diesem Stück scheinst du aber wirklich zu hängen.« Beliebt war auch die Variante: »Also ich find es toll, wie du mit unterschiedlichen Accessoires immer wieder einen neuen Look kreierst – ich erinnere mich noch genau an den breiten Gürtel, den du letztes Mal dazu getragen hast. Das machte es gleich viel sportlicher, nicht?«
Da musste man dann freundlich lächeln und entgegnen: »Tja, weißt du, den breiten Gürtel konnte ich heute nicht tragen, weil der mir viel zu weit geworden ist. Ich habe nämlich seitdem sechs Kilo abgenommen, stell dir das vor!« Das war die einzige Methode, um das Gespräch abzubrechen – vorausgesetzt, die Tatsachen passten dazu. Bei mir taten sie das nicht unbedingt, sechs Kilo abgenommen hatte ich nicht mehr, seit ich nach LottasGeburt meine Figur einigermaßen wieder erkämpft hatte. Aber ich hatte auch nicht so drastisch zugenommen wie einige andere Frauen, bei den meisten Marken kam ich mit Größe Vierzig noch ganz gut hin, und damit kann man ja wohl zufrieden sein, wenn man erst mal die Fünfzig überschritten hat.
Nun teilte mein Mann mir noch mit, dass er nächste Woche nach Hongkong fliegen müsse und ich doch bitte dafür sorgen solle, dass er genügend Hemden zur Verfügung hatte, und bat mich dann, ihm einen Kaffee zu machen, während er noch rasch einige Unterlagen überprüfen musste.
Schweigend machte ich mich ans Werk. Das war immer meine Aufgabe gewesen, genau wie viele andere Dinge, die eine emanzipiertere Frau vermutlich empört ablehnen würde. Ich gebe zu, ich bügele für alle, ich putze die Schuhe der Familie, ich koche möglichst das, was alle essen wollen. Aber plötzlich haute das nicht mehr hin. Mein Mann kam nur unregelmäßig, die Kinder waren nun beide ausgezogen und würden aller Voraussicht nach nicht wieder zurückkommen, jedenfalls nicht auf Dauer.
Eigentlich wollte ich das ja so. Sie sollten doch erwachsen werden und erfolgreich sein und den richtigen Beruf ergreifen und möglichst eine Familie gründen und uns mit den Enkeln besuchen kommen, aber … Ich hätte nicht gedacht, dass das so plötzlich passieren würde. Christoph wollte eigentlich noch zu Hause wohnen bleiben und weiter in Siegen studieren, aber dann war Jana gekommen und hatte seine Pläne geändert. Lotta war längst in Hamburg sesshaft geworden und kannte dort vermutlich jede Kneipe und jede Boutique zwischen Harburg und Itzehoe. Henning war unentbehrlich für seine Firma, was wir nicht nur an einem guten Gehalt, sondern auch an Tausenden von Flugmeilen und verfahrenen Kilometernim Jahr spürten. Und ich? Ich hatte hier das Haus und die Kinder versorgt und mich eigentlich nicht verändert. Oder vielleicht hatte ich nicht wahrhaben wollen, dass sich die Fünfzig langsam über mich hermachte, mit grauen Haaren, die ich alle sechs Wochen sorgfältig überfärben ließ, und der Notwendigkeit der regelmäßigen Fußpflege, damit ich in meinen teuren Pumps auch vernünftig laufen konnte.
Ich stellte Henning seinen Kaffee hin und ließ mich auf dem Sofa nieder, um ein paar Seiten in meinem aktuellen Roman zu lesen, bevor ich mich endgültig in Christophs Zimmer stürzen würde. Aber mir war klar, dass selbst wenn ich die Fenster putzen und die Gardinen abnehmen würde, daraus kein Projekt für mehrere Tage entstehen könnte. Was würde ich dann tun? Was hatte ich bisher getan? Die Zeiten, in denen ich mit Hausaufgabenbetreuung und den Fahrten zwischen Sportvereinen und Musikschule ausgelastet war, waren schließlich längst vorbei. Klar, der Garten bot immer Beschäftigung. Ab und zu traf ich mich nachmittags mit Freundinnen. Und dann gab es natürlich die Großprojekte: Renovierung des Wohnzimmers, eine neue Küche oder der Dachausbau vor ein paar Jahren, der uns ein Gästezimmer eingebracht hatte. Dorthin konnte ich ausweichen, wenn Henning mal wieder seine Schnarchphasen hatte, und ursprünglich hatte ich mal vorgehabt, dort eine Staffelei aufzustellen und mit dem Malen anzufangen. Bisher war es aber beim Kauf einiger Leinwände und einer Grundpackung Acrylfarben geblieben.
Wäre es an der Zeit, diesen Plan in die Tat umzusetzen? Weil ich Ordnung liebe, beschloss ich, das Ganze systematisch anzugehen. Ich legte meinen Roman beiseite, der mich sowieso nicht
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