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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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hoffen gewagt, dass sich ihr Leben wieder in gelassene Bahnen begeben könnte. In ihrer Vorstellung war die Gegenwart die Zukunft.
    Erst als ihre Dienstherrin hinter das Geheimnis ihres Mannes kam, eine breitgewachsene Dame, die während der Kriegszeit nicht ein Gramm Körperfett verloren hatte und die Lotte mit Schlägen und Repressalien in die Geheimnisse der Ordnung, der Sauberkeit und der Zuverlässigkeit einzüchtigte, erst da war Lotte entlassen.
    Aber sie hatte sich bewahrt. Unangetastet. Ungeschändet.
    Den Preis der Furcht, ungeschlafener Nächte, zahlloser Tränen oder Unterkühlungen, wenn sie sich im Stall versteckte, hatte sie gezahlt.
    Das war es wert gewesen!
    Es dauerte eine Weile, bis später Frank die Liebe in ihr erweckte, die Verkrustung ihrer Seele aufweichte, einen Teil des Mädchens zum Vorschein brachte, das sie einst, sehr früh und fast vergessen, gewesen war. Frank, der einen Plan hatte, der nach seiner Zeit bei der Fremdenlegion mit erstaunlicher Geschwindigkeit den Wirklichkeitssinn wiederfand und den sie begleitet hatte, weil dieser Plan Hoffnung heißt.
    Dennoch ist die Angst vor dem Verlust noch immer da.
    Und obwohl sie weder gekocht noch gebacken hat, riecht sie in ihrer Küche Kartoffeln, so, als brodelten sie im Topf, denn die Losungsworte der Vergangenheit sind immer realer als die Wirklichkeit der Gegenwart.
    Lotte nimmt den kleinen Mecki mit der schwarzer Knopfnase und den weichen Stacheln vom Kühlschrank und streichelt den Plüsch. Sie erinnert sich daran, dass Ottilie ihr dieses Schmusetier zum Geburtstag geschenkt hatte, nachdem das Mädchen mit verbundenen Armen aus dem Krankenhaus zurückgekehrt war. Glück solle er ihr bringen und alle Wünsche erfüllen, hatte ihre Tochter damals gesagt. Wie lange ist das her? Drei, nein vier Jahre. Wie die Zeit vergeht!
    »Einen großen Wunsch hast du uns erfüllt«, flüstert Lotte und drückt dem Mecki einen Kuss auf die Stacheln. »Bald wird Ottilie wieder bei uns wohnen.«
    Der Geist der Zukunft mit dem Zauber des Unbekannten streckt ihr die Lippen entgegen, breitet seine Arme aus und will sie, Lotte Wille, willkommen heißen. Sie erwidert diese Begrüßung, indem sie dem Mecki einen Kuss auf die Knopfnase drückt.
    Sie setzt sich an die Nähmaschine, mit der sie sich und ihrer Familie schöne Sachen nähen kann, dieses Modell mit dem Fußantrieb, das sie so sehr liebt, weil es Geld sparen hilft.
    Rattattatta!, macht die Nadel, säumt den Kissenbezug und Lottes flinke Finger schieben den Stoff über die Nähplatte, ohne dass sie auch nur eine Sekunde darüber nachdenkt, was sie tut.
    Dieses Leben ist so kurz, denkt sie. Und von dieser kurzen Zeit bleibt mir kaum welche übrig, um es zu genießen. Wie dieses Kissen und die Naht, die ich nähe. Ich genieße es nicht, ich tue es nur.
    Rattattatta!, fährt der Zug der Zeit an mir vorbei und ich nehme nur seinen Windhauch wahr. Erinnerungen gleiten durch meine Finger wie moderiges Wasser, Vergangenheit, die mir mein Leben verständlich machen sollte, wobei ich vergesse, dass ich nur vorausschauend leben kann, denn nur in der Zukunft finde ich jene Freiheit.
    Und Lotte wird deutlich, wie sehr sie diese Freiheit begehrt!
    Freiheit?
    Hatte sie die jemals? 
    Bisher hatte sie wie ein unglücklicher Fisch in den Maschen der Natur gezappelt, war an den Maschen hin und her geschwommen, ohne ein Loch zu finden, ohne eine Stelle zum Ausbruch.
    Rattattatta!, hackt das Messer ins Kraut, klopfen die Stricknadeln aneinander, macht der Staubsauger, macht die Arbeit, die sie tut, um sich und ihrer Familie zu genügen, alles Intuition und Gewohnheit, alles ohne nachzudenken, ohne zu empfinden, Bewegung, Handhabung, Pflichterfüllung - Gegenwart. Lotte seufzt und ihr Blick versinkt im kunstvollen Gleich des Garnwickels.
    Immer nur alles richtig machen, so wie sie es als Kind gelernt hat, immer funktionieren, da sein für andere – rattattata! – im steten Gleichlaut die Tage absolvieren, einer wie der andere.
    Und nun ... nun soll alles anders werden.
    Denn heute hat sie Bescheid erhalten. Frau Rampf hatte Lotte ans Telefon gerufen und wie immer ein Schnäpschen bereitgehalten. Stoltefuß war am Telefon.
    Der Ortsvorsitzende und Knappschaftsälteste machte es spannend, wuselte erst ein bisschen drum herum, plusterte sich auf. Dann rückte er mit der Entscheidung raus: Das mit dem Haus klappt!
    65.000 Mark wird es kosten, ohne die zugesagte Spende. Bei diesem Gedanken schwindelt es Lotte. Das ist immer

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