Alles auf dem Rasen
demokratische Erneuerung des sorbischen Dachverbands »Domowina«. Inzwischen werden Sprache, Identität und Gleichberechtigung von der sächsischen und der brandenburgischen Verfassung geschützt.
Wir beschließen, uns auf die Suche nach dem Leben hinter zweisprachigen Straßenschildern zu begeben. Tapfer weichen wir auf dem Weg nach draußen den ostereierfarbenen Postkartenständern in der Hotelhalle aus.
Und weiß der Wind nicht mehr wohin / So weht er über Budyšin. – Mit hochgezogenen Schultern streifen wir durch mittelalterliche Gassen, in denen die Autos wie Fremdkörper wirken. Bautzen ist es gelungen, das Notwendige zur Sanierung zu unternehmen, ohne die verträumten, Geschichte atmenden Mauern und Fassaden steril zu übertünchen. Trotz der horrenden Arbeitslosenquote wirkt vom originalgetreu restaurierten Kopfsteinpflaster bis zum öffentlichen Papierkorb alles gepflegt und mit Liebe gestaltet. Zu jeder Turmuhr und jedem Portal gibt es eine Geschichte, wir tauchen ab in die Welt der »Menschen von Staub« (Miltzener) und der »Menschen vom Sumpf« (Lausitzer), springen wie besoffene Flöhe durch die Jahrhunderte und haben schließlich bis zum Mittagessen »vonn vierfüßigen Tieren mite sawrem Krautzkohl« eine Menge gesehen und so gut wie nichts über Sorben erfahren.
Immerhin: Was uns sorbisch plaudernd in der Fußgängerzone entgegenkommt, sind nicht nur Omis, sondern ganz normale junge Leute.
Unser beharrliches Fragen nach dem Befinden der jungen Generation und der Bedeutung der sorbischen Sprache im Alltag erweckt bei den offiziellen Organen der Volksgruppe mehr Misstrauen als Wohlwollen. Schüchtern drücken wir uns um lebensgroße Trachtenpuppen und Zeitungsständer der täglich erscheinenden Serbske Nowiny herum und werden zwischen Institut und Stiftung, Verein und Zentrum hin und her geschickt.
Das alles sei schwer zu beurteilen, es gebe keine Studien zum Thema, jeder Mensch sei anders, die Welt groß und Bautzen klein, und ob wir nicht doch eher nach den Osterbräuchen gefragt hätten? – Nein, haben wir nicht.
Als wir endlich zum Sitzen aufgefordert werden, schmerzen die Wangen schon vom Lächeln. Die sorbische Dame uns gegenüber heißt ganz ähnlich wie Jan Smoler, führender Kopf der sorbischen Bewegung im 19. Jahrhundert und Schüler von Hoffmann von Fallersleben. Sie trägt den gleichen Pferdeschwanz wie die Frauen in den anderen Institutionen, guckt aber nicht so streng und findet unsere Fragen nicht ganz so dämlich.
»Dass jemand so genau Bescheid wissen will, kommt nicht oft vor«, sagt Frau S. und lacht. Wie bei allen Sorben ist ihr Deutsch ohne Akzent – bis auf den schaukelnden sächsischen Tonfall.
Grob wie ein Mosaik aus Kopfsteinpflaster setzt sich das Bild zusammen. In Bautzen mit seinen 40000 Einwohnern stellen die Sorben nur noch vier bis fünf Prozent der Bevölkerung, in kleineren Gemeinden bis zu 15 Prozent. Als schlimmster Feind der sorbischen Kultur erwies sich nicht die deutsche Mehrheit, sondern der Schaufelradbagger. Mehr als fünfzig sorbische Ortschaften ließ der Braunkohleabbau vom Erdboden verschwinden. Zudem wirkt sich die übliche Landflucht junger Leute bei einer Minderheit überproportional aus. Für bedrohte Kulturen ist die Abschaffung von eigenen Kindergärten oder Schulen ein existentielles Problem. Umgekehrt mag bei deutschen Mitbürgern der Eindruck entstehen, die Sorben hätten es – verhältnismäßig gesehen – ohnehin besser. Bei einem sorbischen Dramatik-Wettbewerb werden siebzehn Stücke eingereicht und nicht fünfhundert, und auf jeden sorbischen Kinderkopf entfällt rechnerisch ein höherer Anteil an Lehrern, Internatsbetten oder Kita-Plätzen. Trotz Fördertopf-Erbsenzählerei halten sich die Spannungen zwischen Deutschen und Sorben in Grenzen. Gelegentliche Neonazi-Pöbeleien fallen kaum ins Gewicht, vor allem wenn man bedenkt, dass ausgerechnet Hoyerswerda auch eine sorbische Stadt ist.
»Sorben – ja, aber es darf nicht viel kosten«, fasst Frau S. das Programm der Landesregierung zusammen. Aus politischer Sicht stellen Minderheiten vor allem Forderungen – wenn man Glück hat, nach Schulen, wenn man Pech hat, nach einem Staatsgebiet. Eigentlich wäre es höchste Zeit, sich der Möglichkeiten einer bikulturellen Region bewusst zu werden, und zwar nicht nur in touristischer Hinsicht. Die Vorteile von Zweisprachigkeit in Zeiten von Globalisierung und EU-Osterweiterung liegen auf der Hand. Ein Sorbe versteht
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