Alles auf dem Rasen
behauptet ein beliebter Witz, ist die schönste von allen: Entweder das Feuer ist aus, oder der Folterknecht hat verschlafen, oder alle sind bei einem Fest.
»Viele klagen über Einschränkungen und Chaos«, sagt Jasmina. »Man kann es aber auch anders sehen: Nirgendwo sonst kannst du so leicht etwas Neues, Eigenes schaffen. Ich will hier nicht weg.«
Während des Krieges musste sie. Drei Jahre lebte sie bei ihrem Onkel im norddeutschen Otterndorf. Dort ging sie auf ihre ersten Partys und begeisterte sich für elektronische Musik. Mit vierzehn Jahren.
»Ich war immer mit allem etwas früh dran«, lacht sie. »Und komme trotzdem notorisch zu spät.«
Wegen des Zu-spät-Kommens nahm sie Sportklamotten mit, wenn sie sich nachts aus dem Haus schlich, zog sich nach der Party um und kehrte in der frühen Dämmerung ganz harmlos auf Joggingschuhen nach Hause zurück. Wie nach einem kleinen Morgenlauf.
»Natürlich hatte mein Onkel den Trick längst durchschaut«, sagt sie kopfschüttelnd.
Wahrscheinlich wusste er, dass es zwecklos ist, Jasmina von irgendetwas abhalten zu wollen. Als sie beschloss, noch vor Kriegsende in ihre Heimatstadt Travnik zurückzukehren, hätte die Mutter am liebsten ihren Reisepass versteckt. Wieder zwecklos. Jasmina hatte ihren Vater drei Jahre lang nicht gesehen und wollte nach Hause, während noch die Granaten auf Travnik flogen. Die Partys fanden in privaten Kellern statt, und wenn der Clique langweilig war, spielte sie Waffen-Erraten anhand der Detonationsgeräusche.
Thomas D. ist auf der Reise und hat Rückenwind: Die Straßen Sarajevos sind voller Leben, aus allen Läden und Cafés ist Musik zu hören, orientalische Klänge oder auch mal deutscher Hip-Hop. Jasmina zog zum Studieren in die Hauptstadt. Dort wurde DJ Djoha ihr Lehrer, er hatte während des Krieges in Sarajevo für Radio 3 gearbeitet. An der Uni lernte sie Senada kennen, mit der sie sich heute ein kleines Haus oben am Hang teilt. Dort packt sie schnell ihre Sachen zusammen. Wir wollen nach Travnik, wo sie am Abend die Grammophone bedienen wird. In Travnik hatte sie bei der Eröffnung des Clubs »Yoda« den ersten Auftritt ihres Lebens.
»Ich war neunzehn«, erzählt sie. »Und vor lauter Nervosität wollten mir ständig die Tonarme aus den Händen fallen.«
Vorsichtig legt sie die Abnehmer mit den Diamantnadeln wie kostbare Juwelen in eine rote Schatulle. Wir sitzen einstweilen auf einer unförmigen Couch und starren auf eine Vitrine mit Überraschungs-Ei-Sammlung und Goldrand-Geschirr. Die hässliche Pendeluhr ist auf fünf vor zwölf stehen geblieben, im Fernsehen läuft MTV ohne Ton.
»Achtet nicht auf die Möbel, die waren schon da. Bis auf Stereoanlage und Playstation Zwei.«
Es ist Jasminas fünfte Unterkunft in Sarajevo, irgendwann beschwerten sich immer die Nachbarn.
»Eines Tages sagte Jasmina: Ich werde jetzt DJ«, beschreibt Senada den Anfang der schnellen Karriere. »Ich dachte nur, klar, dann wird sie eben DJ. Es hatte zwar noch nie einen weiblichen DJ in Bosnien gegeben, aber ich kannte sie. Und ihren eisernen Willen.«
Jasmina nennt das ihren »Dickkopf«. Tagelang hockte sie auf dem Teppich und übte mit geliehenen Plattenspielern. Einen Tisch für die Turntables gab es nicht. Bis heute stecken ihre Schallplatten, die sie mühsam zusammenkauft oder von einem Freund aus London geschickt bekommt, in einem großen Umzugskarton, schwer wie ein Felsbrocken. Natürlich gibt es auch Plattenkoffer. Braucht man aber nicht unbedingt. Überhaupt braucht man im Leben nur sehr wenige Dinge.
»Das meiste ist Schminke«, sagt Jasmina gerne.
Sie selbst benutzt keine, auch nicht im Gesicht. Sie nennt sich nicht »DJ Syndrom« oder »DJ Chaos«, sondern einfach nur »Jasmina«. Die Presse schreibt oft über sie, und manchmal findet sie sich in den Artikeln als Underground-Künstlerin aus New York wieder.
»Das ist so was von bescheuert. Und dann sagen sie, ich soll mich mal ein bisschen hübsch machen. Ein Kleid anziehen.«
Jasmina ist schon hübsch. Sie trägt Klamotten, die zu ihr passen und in denen sie alles sein könnte: Studentin der Literaturwissenschaft, Mitarbeiterin einer deutschen Hilfsorganisation oder Redakteurin des Kulturmagazins Vodi č. Mitglied einer privaten Business-Akademie an der kroatischen Küste. Oder eben DJ. Das Verrückte dabei: Jasmina ist all das. Und zwar gleichzeitig.
Hang the DJ: Im Autoradio dudelt bosnische Volksmusik, Jasmina übersetzt: »Ich hab dich satt, du alte Kneipe –
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