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Alles außer Mikado: Leben trotz Parkinson (German Edition)

Alles außer Mikado: Leben trotz Parkinson (German Edition)

Titel: Alles außer Mikado: Leben trotz Parkinson (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Mette
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Testament in die deutsche Sprache übertrug. Die einfachen Leute – ohne lateinische Sprachkenntnisse – sollten mündige Leser der Bibel werden. In nur drei Monaten stellte er dieses anspruchsvolle Projekt fertig. Im Frühjahr 1522 wurde das Werk in Druck gegeben und im September kam es ohne Nennung des Übersetzers in die Hände der wenigen, die damals lesen konnten. Die Erstauflage betrug 3000 Stück und war innerhalb kürzester Zeit vergriffen.
    Genau dort zittert sich 500 Jahre später ein unbedeutender Theologe aus der sicheren Festung seines erfolgsverwöhnten Lebens in die bis dahin gänzlich fremde Welt einer chronischen Erkrankung. Mein Burgerlebnis. Erste Bekanntschaft mit dem unangenehmen Herrn P., dem Initiator der Schüttellähmung, der nicht nur meinen Körper schütteln wird, sondern auch meine Seele und meinen Geist mitsamt dem so sicher geglaubten theologischen Fundament.
    »Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen.« Vielleicht hatte Luther das Bild der Festung Wartburg vor Augen, als er diesen Klassiker der Kirchenmusik irgendwann zwischen 1521 und 1530 schrieb. Anlass für den wuchtigen und triumphalen Text waren entweder die heranziehende Pest oder die nahenden osmanischen Invasoren. Wenn heute alle Strophen dieses trotzigen Klassikers inbrünstig geschmettert werden, wird mir bei einem bestimmten Vers immer ganz seltsam zumute. Mir fällt es schwer, die folgende Strophe zu singen:
    »Nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib: lass fahren dahin, sie haben’s kein’ Gewinn, das Reich muss uns doch bleiben.« 4
    Nein, diese starken Lippenbekenntnisse sind durch meinen kleinen Glauben nicht gedeckt. Da schweige ich lieber betreten. Vielleicht bin ich in zehn Jahren so weit, dass ich Gott singend bitte, mir meinen Zitterleib abzunehmen. Luther verkörpert die »feste Burg«, ich nicht. Für mich ist das Wartburgerlebnis der Anfang einer zunehmend brüchigen Lebensfestung. Wart, Burg, ich will die Lektion lernen, die mir in deinen Mauern gestellt wurde.
    Von der historischen Wartburg zurück zur Wartburg als Filmkulisse.
    Beim nächsten Dreh in der Burgkapelle verkeile ich meine Beine unter dem Tischchen, klemme die zittrige Hand zwischen Sessel und Oberschenkel und gestikuliere nur mit rechts, weil links das Zittern nicht zu bändigen ist. Die ersten sechs Folgen sind im Kasten. Um Mitternacht schlurfe ich müde über die dicken Teppiche des altehrwürdigen Hotels. Ich bekomme die Füße nicht mehr richtig hoch. Man hört mich kommen und gehen.
    Beim Frühstück: gute Miene, Nettigkeiten, belanglose Konversation, um meine innere Not zu verbergen. Traumhafter Blick auf den tief verschneiten Thüringer Wald. Ein gekochtes Ei, wie immer. Ich pfeife auf die Eiweißablagerungen in meinem Hirn. Jetzt ist es sowieso zu spät. Öfter mal ein Ei erspart mir vielleicht einen langen Leidensweg. Keiner ahnt, wie es in mir brennt. Aber ich fühle mich beobachtet. Lieber einhändig frühstücken, sicherheitshalber. Zum ersten Mal im Leben bin ich richtig froh, Rechtshänder zu sein. Krawatte muss nicht mehr sein, die Feinmotorik klemmt beim Binden der textilen Männerzierde. Shampoo beim Duschen in die dezent angegraute Mähne verteilen? Mit links geht es oberhalb der Schultern nicht mehr so richtig.
    Beim Mittagessen zittert die ganze linke Seite. Reis und Nudeln fliegen erstmals auf halber Höhe von der Gabel. Fleisch und festgekochte Kartoffeln sind kein Problem. Da kann man zustechen, aber drei Erbsen auf einer Gabel balancieren, das ist Tischakrobatik der gehobenen Klasse. Ab jetzt wird Reis nur noch mit dem Löffel verspeist. Was macht bloß ein an Parkinson leidender Asiate mit seinen Stäbchen? Richtig, er nimmt sie, um den Ofen anzuschüren.
    Meine sonst so markante und laut vernehmliche Baritonstimme wird leise und brüchig, und zwar immer dann, wenn ich emotional bewegt bin – und das bin ich ständig. Die Tränen sitzen locker wie nie. Ich bin laufend »liquide«.
    Beim zweihändigen Schreiben am PC gerät die Synchronisation der Hände durcheinander. Links wird langsam. Handschriftliche Notizen beginnen für andere unleserlich zu werden. Was soll’s? Damit kann ich leben.
    Schade! Ich kann den Komfort und die Stimmung dieses romantischen Burghotels kaum genießen. Das tolle Essen spricht mich nicht an. Ein totaler Ausfall für mich Feinschmecker. Ich rufe meine Frau an und melde, dass es mir richtig schlecht geht. Sie findet liebe Worte für mich.
    In jenen Nächten stand

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