Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
Behandlungszimmer. Er hat sein Handy zwischen linker Schulter und Ohr eingeklemmt und streckt uns zur Begrüßung die Hand entgegen. Mit einem freundlichen Nicken bittet er uns um Geduld, anschließend bedeutet er Lena gestenreich, schon mal auf dem abgewetzten cognacfarbenen Behandlungsstuhl Platz zu nehmen. Der ältliche Dottore wirkt ein wenig gebückt: Wahrscheinlich hat er hier in seinen besten Tagen noch Widerstandskämpfer gegen Mussolini zusammengeflickt. Ich denke: Ein Mann mit Erfahrung. Und: Eine Sprechstundenhilfe scheint er auch nicht nötig zu haben. Hier empfängt der Chef noch selbst. Das finde ich sehr persönlich. »Immerhin kommen wir wohl gleich dran«, sage ich in einem erbärmlichen Versuch, für gute Laune zu sorgen.
Kahle, kalte, weiße Wände, in den Ecken bröckelt die Farbe, etwa so wie der Putz an den Nachbarhäusern. Die Fenster sperrangelweit geöffnet, von draußen klingt der Straßenlärm herein. Irgendjemand scheint sich in der Gasse zu streiten.
»Scusi« , sagt Herr Cevani, als er auflegt und sich Lena zuwendet. Er fragt gar nicht erst, ob wir Italienisch können, sondern rattert in seinem Terrone-Akzent los wie Apuliens Antwort auf Dieter Thomas Heck. Er zieht eine Behandlungslampe herunter und knipst deren funzeliges Licht an, da klingelt sein Telefon schon wieder.
»Pronto« , spricht er in sein Handy.
Ich mache mir allmählich Sorgen. »Hätten wir vielleicht zu einem anderen Arzt gehen sollen?«
»Es gibt nur diesen«, sagt Lena, die von diesem Chaos eher amüsiert als erschüttert wirkt. »Wer in Sepiana was Ernstes hat, nimmt den Krankenwagen. Und bis in den nächsten größeren Ort sind es zwanzig Kilometer.«
»Si, certo. Ho prenotato la tavola, ceeerto« , singt der Dottore in sein Handy.
»Na, das ist ja Weltklasse«, lacht Lena, »der organisiert sein Dinner-Date, während er mich untersucht.«
Immerhin steht inzwischen wohl seine abendliche Verabredung. Ich nehme mal an, er hat mit einer Frau telefoniert, jedenfalls verabschiedet er sich mit den Worten »un abbraccio forte« – ich drück dich. Zu meiner Verblüffung streift er sich nun sogar Latex-Handschuhe über, bevor er Lenas Wunde untersucht und wortreich kommentiert.
»Er sagt, dass er nicht nähen muss«, übersetzt Lena, während der Arzt offenbar ergebnislos nach Desinfektionsspray sucht. Sie sagt: »Alles andere als ein Pflaster würde ich von dem allerdings auch nicht nehmen. Wenn der einen näht, erinnert dich die Narbe für den Rest des Lebens an diesen Urlaub.« Tolles Souvenir.
Normalerweise behandelt der Dottore nur leichtere Verbrennungen von Touristen, die besoffen in der Sonne eingeschlafen sind. Und gelegentlich Durchfallerkrankungen. Für ihn scheint Lenas fieser Cut eine medizinische Herausforderung zu sein. Er schmiert ihr so eine orange-rote Jod-Tinktur auf die Stirn, bis Lenas Kopf ausschaut wie ein fauler Apfel. Dann klebt er ihr eines dieser Tacker-Pflaster über die Delle und setzt zu einem Vortrag an. Ich nehme an, es geht um Pflegetipps und Verhaltensregeln für die nächsten Tage. Lena sieht mit einem Mal stinksauer aus.
»Na toll. Er sagt, ich darf auf keinen Fall in die Sonne. Und ich darf vorerst auch nicht mehr schwimmen, ich darf überhaupt nur bis zu den Schultern ins Wasser.«
»Oh.«
»Vielen Dank. Und das alles nur deinetwegen.«
Ich nuschele: »Sorry.«
»Ja, ja. Super Urlaub.«
»Frag ihn mal, wie lang das Verbot gilt!«
Mindestens eine Woche, sagt Dr. Cevani. »Das darf doch nicht wahr sein«, zischt Lena mit zusammengebissenen Zähnen. Und in meine Richtung.
»Kann ich dir zum Trost vielleicht einen neuen Hut kaufen? Dann ist deine Stirn wenigstens im Schatten, und alles wird super.«
Als wir am Nachmittag wieder zum Grande Paradiso runterkurven, hat sich Lenas Laune zumindest minimal aufgehellt. »In Zukunft überlässt du mir die handwerklichen Dinge, okay?« Sie grinst vom Beifahrersitz herüber, ihren neuen Strohhut schon auf dem Kopf. »Deine Männlichkeit kannst du anderweitig beweisen.«
»Heißt das, du baust das Zelt wieder auf, und ich wische Staub?« Die Erleichterung war mir wohl anzumerken.
»Irgendwie müssen wir das ja vor Einbruch der Dunkelheit hinkriegen«, sagt Lena.
Wir parken das Auto auf dem freien Stellplatz gegenüber unserer zerstörten Behausung, Lena steigt aus und geht zum Wohnwagen. Ich folge mit dem gebührenden Abstand, den mein schlechtes Gewissen mir empfiehlt. »Was ist das denn?«, höre ich Lena vor mir nur sagen, und
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