Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
weil ich ihren überraschten Tonfall nicht richtig deuten kann, jagt mir ein kalter Schauer über den Rücken. Nicht die nächste Katastrophe! Bitte nicht!
Aber stattdessen sehe ich in unserem Vorgarten nur den Willi und einen Mann mit ähnlich geformtem Bauch, ebenfalls in beigefarbener Bermudahose. Offensichtlich den hiesigen Uniformvorschriften folgend. Und ich sehe unser Vorzelt – es steht bereits in seiner ganzen Pracht. Mit Türen, Folienfensterchen und einem Giebel über dem Eingang. Die beiden Herren wirken allerdings immer noch sehr emsig.
»Das Sonnensegel haben wir auch gleich fertig«, sagt Willi, ohne uns erst groß zu begrüßen, »dann könnt ihr mit dem Einräumen anfangen.« Sein Dialekt hat keine Melodie, das ist schon fast Musik. Schweiß rinnt einem Gebirgsbach ähnlich über Willis nackten Rücken. Ich kenne Lena seit fünf Jahren, und üblicherweise redet sie im Tempo einer Kalaschnikow; ich habe sie noch nicht mal ansatzweise sprachlos erlebt. Bis jetzt.
Willi und sein Kumpel, der sich als Horst aus Düren vorstellt, haben während unseres Arztbesuchs das Trümmerfeld in eine blühende Urlaubslandschaft verwandelt. »Camper-Solidarität«, sagt der Horst triumphierend, während er die letzten Heringe mit einem Hammer in den Boden rammt und kurz darauf ein großes dunkelblaues Stofftuch vor unserem Vorzelt aufspannt.
»Und du«, Lena wendet sich nach einer Kaskade der Dankesworte wieder an mich, »gehst jetzt erst mal vor an die Bar und holst unseren Rettern was Ordentliches zu trinken. Da kannst du auch nichts falsch machen.«
»Nee, lass mal«, sagt Willi, »wir haben alles.« Er klingt nicht nur wie Willi Millowitsch, er hat auch den gleichen Quadratschädel. In einer fließenden Bewegung öffnet er eine Kühlbox und drückt mir eine Flasche Reisdorf Kölsch in die Hand: »So, Jung, jetzt setz dich erst mal hin und trink dir’n Bier.«
Wie schön. In all den Jahren, in denen ich mich bemühe, mit einem überakzentuierten Pseudo-Bayerisch meine rheinische Herkunft zu verleugnen, hatte ich ganz vergessen, dass in meiner Heimat »essen« und »trinken« als reflexive Verben gelten. Und: Es ist kurz nach vier – wenn ich mir jetzt ein Bier trinke, ist mir der Tag um halb fünf gelaufen.
Willi zieht ein anerkennendes Gesicht, bei dem er die Unterlippe nach vorn schiebt, und nickt Lena zu, die er längst als die Chefin des Hauses ausgemacht hat. »Wirklich, nobel geht die Welt zugrunde«, sagt er, immer noch nickend.
Lena und ich verstehen nicht ganz. Was man uns wohl auch ansieht.
»Na, das Vorzelt, das ist doch ein Isabella. Ist das ein Commodore Royal?«
Jetzt bin ich mir trotz meiner rheinischen Wurzeln nicht mehr ganz sicher, dass wir die gleiche Sprache sprechen.
»Keine Ahnung«, sagt Lena, »aber eins weiß ich – ohne euch zwei hätte der Commodore, oder wie das Ding hier heißt, wahrscheinlich am Ende unseres Urlaubs noch nicht gestanden.«
»Ach, hör mal, Mädchen, das war doch gar nix. Paar Handgriffe.« Er schaut zu mir auf dem Campingstuhl, sein Blick verbindet Vernichtung und Trost. »Ich sag immer: Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg.«
Wenig später, als Lena uns nicht hören kann, flüstert er verschwörerisch: »Und heute Abend, Jung, spielt Deutschland gegen Österreich. Kommst du zu mir rüber. Kühlschrank ist voll.«
Der Abend bricht herein. Der Abend, das ist nach guter deutscher Sitte so kurz nach 18 Uhr. Ein Geruch von Holzkohle und darauf verbrennenden Nackensteaks legt sich wie ein Tuch mit Blümchenmuster über die Zona Dragone. Smells like home .
Unser Wohnwagen steht jetzt lotrecht, wie sich Willi ausdrückte, nachdem er ihn mit seiner Wasserwaage vom Format einer Bahnschranke erneut ausgerichtet hatte. Mir ist es in der Zwischenzeit gelungen, zwei zusammensteckbare Schränke für unsere Vorräte und das Kochgeschirr im Vorzelt aufzubauen. Sie bestehen aus ein paar Stangen und nachtblauem, abwaschbarem Stoff. Vermutlich hatte mir Lena den Job nur deshalb übertragen, weil den selbst ein dressierter Affe mit links erledigen konnte. Und so wie ich in der Mittagshitze unseren Platz planiert habe, stehen die Schränke nun stabiler als Albert Speers steinerne Tribüne auf der Nürnberger Zeppelinwiese.
Ich drehe eine kleine Runde über den Campingplatz. Die wichtigste Lektion des »Hostile Environment Trainings« ist ja: Mach dich intensiv mit deiner neuen Umgebung vertraut und such nach möglichen Fluchtwegen.
Das Grande Paradiso drückt sich in eine
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