Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
kleine Bucht, sie ist ein bisschen länger als einen halben Kilometer, schätze ich mal, und an beiden Enden ragt jeweils ein Felsen etwa siebzig, achtzig Meter weit in die Adria hinein. Rein topographisch erinnert das ein bisschen an weit ausgebreitete Arme. Das ist natürlich umwerfend schön, muss man schon zugeben. Wer will schon nicht von der Natur willkommen geheißen werden? Treppenartig ziehen sich Pinien und Aleppo-Kiefern (auf die hatte Lenas Vater bestimmt ein Dutzend Mal hingewiesen) den großen Hügel hinauf, ebenso treppenartig stehen Zelte und Wohnmobile dazwischen. Und Klohäuser mit erdfarbenen Mauern.
Die Zona Dragone, das sind drei Teerwege, die sich auf drei Stufen wie in einer Neubausiedlung schlängeln. Am Rand des angrenzenden Wäldchens steht eine Reihe zweigeschossiger Bungalows; dort wohnen die Nicht-Camper unter den Campern. Alle außer mir. Hätte das zum Einstieg nicht auch gereicht?
Kinder flitzen in der untergehenden Sonne auf ihren Laufrädern und Tretrollern über den Asphalt. Die Erwachsenen schlappen in Bademänteln und mit bunten Kulturbeuteln unter den Achselhöhlen über den Platz, als kämen sie gerade aus einer versteckten Wellness-Oase.
In den hinteren Reihen steht man mit seinem Wagen wie auf einer breiten Treppenstufe. Oder dem obersten Rang einer Stadiontribüne. Man kann über die Wohnwagen der prima fila hinweg immer noch direkt aufs Meer schauen. Nur hier und da stören Fahnen auf dem Dach der Wohnwagen den Ausblick; sie hängen schlapp in der lauen Luft und sind mit dem Wappen des jeweiligen Bundeslandes bedruckt, aus dem die Camper kommen. Wenigstens hat keiner die Reichskriegsflagge gehisst.
Deutsche sind für ihr Territorialverhalten international berüchtigt, sie sind geradezu zwanghaft besessen von der Idee, ihr Revier zu markieren. Wie Hunde, die dauernd ihr Beinchen heben. Hier oben, in sicherer Distanz zum Strandtrubel, hat die Campingplatz-Verwaltung dummerweise keine Trennhecken angepflanzt, was einige Besucher, deren Flaggen sie als Bayern und Württemberger ausweisen, vor ein Problem stellt. Und weil es nun mal keine Handtücher gibt, die groß genug wären, um sie hier auszulegen, haben sie kleinere Gartenzäunchen und schulterhohe Windschutzwände aufgestellt. Wobei ich es nicht für ausgeschlossen halte, dass einige Gäste, die lange genug auf ihrem Stellplatz bleiben, längst angefangen haben, blickdichte Büsche einzusäen.
Große Rasenflächen, gesund aussehende Bäume. Im Prinzip sieht es nicht sehr viel anders aus als in den Hotelanlagen, in denen ich sonst immer meinen Sommerurlaub verbracht habe. Der einzige auf den ersten Blick erkennbare Unterschied ist, dass die Menschen hier so wie der Willi ihr eigenes Bier mitbringen. Und natürlich ihre eigenen, nun ja: Häuser.
Es gibt Wohnwagen mit gelblichen, gewölbten Butzenfenstern wie auf der Alm, und vor manchen hängen konsequenterweise auch Blumenkästen mit Geranien. Gern genommen auch das selbst gehäkelte Gardinchen. Bella Bavaria sul mare .
Im Prinzip geht es beim Camping genau darum. Du nimmst dein Stück Castrop-Rauxel, Rosenheim oder Rendsburg mit an die entlegensten Winkel Europas oder zumindest bis an die Adria. Dreißig Quadratmeter Deutschland. Und damit das Heimweh nicht deine Seele auffrisst, ist das Prunkstück eines jeden Stellplatzes die sorgsam ausgerichtete Verbindung ins Weltall. Lena hat mir erzählt, dass sich die meisten Camper jeden Sonntag die »Lindenstraße« und später den »Tatort« reinziehen. Das werde ich bei Gelegenheit überprüfen. Jedenfalls hat das Grande Paradiso eine höhere Satellitenschüssel-Dichte als ein Ost-Berliner Plattenbau.
Dass sich auf den ersten Blick alle meine Vorurteile bestätigen, finde ich zunächst einmal beruhigend. Wirklich irritierend ist nur, dass es einen kunstsinnigen Großintellektuellen wie meinen Schwiegervater in dieses erdverbundene Kleinbürger-Milieu zieht. Wenn ich das richtig verstanden habe, dann gefällt es ihm nicht einfach nur – ihm wird sprichwörtlich warm ums Herz. Er ist sogar körperlich ein anderer Mensch, wenn er hier ist. Vielleicht muss ich mich tatsächlich auf das alles ein bisschen mehr einlassen, sonst werde ich es nie verstehen. Weder diesen Campingplatz noch diese Familie.
»Wo warst du?«, fragt Lena, während ihre in Gummihandschuhen steckenden Hände mit einem Schwamm und einem offensichtlich hochtoxischen Spülmittel den schäbigen weißen Plastiktisch unter dem Sonnensegel abschrubben. Ich
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