Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
bin mir nicht sicher, ob ihre Frage schlichtes Interesse oder ernster Vorwurf ist.
Ich deute mit einem Kopfnicken auf den Tisch. »Sag mal, soll ich das nicht machen?« Schließlich entspräche das Putzen wohl am ehesten meiner Veranlagung.
»Passt schon, bin eh gleich fertig.« Lena trägt nicht mehr als ein Bikini-Oberteil und ein bemerkenswert knappes Höschen, das ich noch nie an ihr gesehen habe. Ihre langen blonden Haare hat sie zu einem recht strengen Sekretärinnen-Pferdeschwanz zusammengebunden, wahrscheinlich damit sie nicht noch die Wunde infizieren. Vielleicht aber auch, um ihre mit einem Pflaster beklebte Stirn noch deutlicher als Mahnmal zu inszenieren.
Sie sagt: »Du kannst nachher ein paar Steinplatten holen.«
»Wofür denn das? Willst du hier eine Terrasse anlegen? Von mir aus besorge ich auch einen Springbrunnen. Was immer du willst.«
Lena schüttet den Putzeimer in der Hecke aus, und vor meinem geistigen Auge sehe ich schon die wenigen grünen Blätter instantartig verrecken und von ihren Ästen segeln. »Wir brauchen zwei Platten, um eine Treppe vom Mäuerchen hinunter zum Strand zu bauen, das machen wir immer so. Und auf eine kommt dann der Kühlschrank.« Sie dämpft die Stimme auf Geheimlautstärke. »Aber warte noch ein paar Minuten, bis die Dunkelheit angebrochen ist – so richtig erlaubt ist das halt nicht.«
Soll ich ihr sagen, dass bei Einbruch der Dunkelheit auch das Länderspiel Deutschland gegen Österreich live übertragen wird? Willis Einladung klang reizvoll.
Lena mixt sich gerade einen Aperitivo . Sie hat eine Playlist mit den übelsten Italo-Schmonzetten angestellt und ist offenbar schon im fortgeschrittenen Nostalgie-Groove. Hm. Das schlechte Gewissen nach meiner verunglückten Vorstellung heute Mittag erlaubt jetzt eher keinen Ego-Trip. Lena kann mit Fußball nichts anfangen, sie hasst es, wenn ich am Sonntagmorgen diesen absurden Kicker-Stammtisch im DSF ansehen will. Kein guter Moment also, gleich den nächsten Streit zu riskieren.
Hinter dem Restaurant, das die Zona Dragone von der Zona Saturno trennt, lagert die Campingplatzverwaltung ein paar Dutzend Steinplatten, die sie bei Bedarf auf die einzige Wiese der Anlage legen, damit man diese auch betreten kann, wenn der Rasensprenger die Grünfläche in eine Matschgrube verwandelt. So hat Lena das jedenfalls dargestellt. Nach einigem Suchen öffnet sie eine Klappe im Boden des Wohnwagens und zieht eine blaue Ikea-Sackkarre raus. Und ich muss sagen, dass mir das Equipment schon imponiert. Ich denke, ihr Vater, der ja kein Auto hat, benutzt die Karre hauptsächlich, um Getränkekästen aus dem kleinen Supermarkt oben auf dem Hügel ranzuschaffen.
»Und lass dich nicht erwischen!«, ruft Lena mir noch hinterher, bevor sie sich mit ihrem Campari Soda auf die frisch geputzte Sonnenliege lümmelt. Nach einem Tag wie diesem frage ich sie lieber nicht nach Handschuhen fürs Verladen der Platten.
Aber wie soll ich das machen: mich nicht erwischen lassen? Der Weg führt vorbei an all den Grill-Maniacs, die in der sogenannten zweiten Reihe nach ihrem Abendessen die Aussicht auf die vor ihnen parkenden Wohnwagen auf den Premium-Plätzen genießen. Der eine oder andere blickt von seinem Bier auf und nickt freundlich. Kurz vor dem Restaurant eine Kurve, dort steht ein wuchtiger Wohnwagen schräg zur Straße, auf der einen Seite mit Blick zum Meer, auf der anderen guter Überblick über das Treiben hier auf dem Platz. Anthrazit-grau und mit dunkel getönten Fensterscheiben – die gigantische Kiste steht da wie ein Mauthäuschen. Davor eine Art Foto-Stativ mit Satellitenschüssel drauf. Ich wette, die ist nicht nur zum Fernsehen. Ob der Besitzer hier auch die Gespräche der Nachbarschaft abhört?
Mein Weg geht weiter in einem langen Bogen um das Restaurant herum, und während ich auf dem kieseligen Parkplatz nach dem Steinplattenversteck suche, schallt aus den Lautsprechern Umberto Tozzis »Gente di mare«, die legendäre Hymne aller italienischen Großstadtmelancholiker, die sich nach Meer und Freiheit sehnen.
Im Schutz der Dunkelheit wuchte ich drei mordsschwere Platten auf die Sackkarre, hübsch hochkant, eine hinter die andere. Gerade als ich um die letzte Kurve in unsere Straße biege, kommt mir vor dem Mauthäuschen einer dieser riesigen Geländewagen entgegen. Das muss ein Toyota Landcruiser sein, und er hat ordentlich Tempo drauf. Der Weg ist schmal, deshalb weiche ich aus, indem ich die Sackkarre nach links reiße.
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