Alles Boulevard: Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst (German Edition)
abstrakten Stil, besteht sein Buch aus neun Kapiteln und 221 Thesen, davon einige kurz wie Aphorismen und fast immer ohne jedes anschauliche Beispiel. Seine Argumentationist zuweilen schwer nachzuvollziehen, so verschlungen ist seine Prosa. Kultur im engeren Sinne, bezogen auf Kunst und Literatur, hat in seinem Buch nur am Rande Platz. Seine Themen sind Ökonomie, Philosophie und Geschichte mehr denn alles Kulturelle, was Debord, auch darin dem klassischen Marxismus treu, auf einen Überbau reduziert, der sich über jenen Produktionsverhältnissen erhebt, welche die Basis der Gesellschaft sind.
Dagegen hält sich der vorliegende Band an einen Begriff von Kultur, der diese nicht als bloße Begleiterscheinung des Ökonomischen und Sozialen verstanden wissen will, sondern als autonome Wirklichkeit, wozu Vorstellungen, ethische und ästhetische Werte ebenso gehören wie Werke der Kunst, die mit allen übrigen gesellschaftlichen Ereignissen interagieren und nicht bloß Reflexe sind, sondern am Beginn sozialer, ökonomischer, politischer und selbst religiöser Phänomene stehen.
Bei Debord finden sich Erkenntnisse und Hypothesen, die mit einigen Aspekten, die ich in meinem Essay hervorheben möchte, übereinstimmen, so der Gedanke, dass das Leben, ersetzt man es durch seine Repräsentation, zu einem Zuschauer seiner selbst wird, das Menschliche also verarmt (These 30). Ebenso seine Feststellung, dass in einer Umgebung, in der das Leben nicht länger gelebt wird, sondern nur noch dargestellt, man gleichsam per procura lebt, so wie ein Schauspieler das gespielte Leben lebt, das er auf der Bühne oder der Leinwand verkörpert. »Der wirkliche Konsument wird zu einem Konsumenten von Illusionen.« (These 47) Eine luzide Beobachtung, die in den Jahren nachErscheinen seines Buches mehr als bestätigt werden sollte.
Dieser Prozess, so Debord, hat die »Banalisierungsbewegung« zur Folge, welche »die moderne Gesellschaft weltweit beherrscht«, eben aufgrund der Vervielfachung der Waren, die dem Verbraucher zur Auswahl stehen, eine Pseudofreiheit, weil die vorgenommenen Veränderungen keine frei gewählten sind, sondern vom Wirtschaftssystem, von der Dynamik des Kapitalismus bestimmt werden.
Sich absetzend vom Strukturalismus, den er einen »kalten Traum« nennt, ist für Debord eine Kritik der Gesellschaft des Spektakels nur denkbar als Teil einer praktischen Kritik an dem Umfeld, das sie hervorbringt, gewissermaßen im Sinne einer revolutionären Aktion zur effektiven Zerstörung einer solchen Gesellschaft (These 203). Vor allem in dieser Hinsicht stehen meine Thesen den seinen diametral entgegen.
In den letzten Jahren haben zahlreiche Arbeiten versucht, die Charakteristika unserer Gegenwartskultur im Zeichen der Globalisierung zu definieren. Einer der scharfsinnigsten Versuche ist der von Gilles Lipovetsky und Jean Serroy, La Culture-monde. Réponse à une société désorientée 4 (Die Weltkultur. Antwort auf eine verunsicherte Gesellschaft) . Ihr Tenor ist, dass wir es eben mit einer Weltkultur zu tun haben, welche im fortschreitenden Schwinden der Grenzen und getragen von den Märkten sowie der wissenschaftlichen und technologischen Revolution (vor allem in der Kommunikation) zum erstenMal in der Geschichte kulturelle Referenzen hervorgebracht hat, auf die sich Gesellschaften und Individuen aller fünf Kontinente verbindlich beziehen können, so unterschiedlich ihre jeweiligen Traditionen, Religionen und Sprachen auch sein mögen. Diese neue Kultur ist nicht länger elitär, gelehrt und exklusiv, sondern eine echte »Massenkultur«: »Anders als die hermetischen und elitären Avantgarden will die Massenkultur einem größtmöglichen Publikum Neues und möglichst vielen Konsumenten Abwechslung bieten. Es geht darum, zu unterhalten, den Menschen Vergnügen zu bereiten, eine einfache, allen zugängliche Flucht zu ermöglichen, ohne irgendeine Bildung oder kulturelle Orientierung vorauszusetzen. Was die Kulturindustrie erfindet, ist nicht mehr als eine in Massenkonsumartikel transformierte Kultur.« (S. 77)
Diese Massenkultur, so die Autoren, erwächst aus der Dominanz des Bildes und des Tons, das heißt per Bildschirm – und zum Nachteil des Wortes. Die Filmbranche, vor allem Hollywood, globalisiert die Filme, trägt sie in alle Länder und in alle gesellschaftliche Schichten, denn wie die DVDs und das Fernsehen sind die Filme allen zugänglich und verlangen vom Zuschauer keinerlei ausgeprägte geistige Fähigkeiten. Mit
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