Alles Fleisch ist Gras
dieses Himmels finden dürften. Oder vielleicht doch …?« Er sprach laut, wie er es, wenn er allein war, in den letzten Wochen immer häufiger tat. Es half ihm, die Gedanken zu klären. Ein Gedanke hatte sich dabei herausgeschält: Wenn es um Beifall von oben ging, hatte Nathanael Weiß viel schlechtere Aussichten als Anton Galba. Das galt auch für die Spießgesellen Nathanaels, wer immer sie sein mochten. Er musste Helfer haben, ein Mensch allein konnte das alles nicht bewältigen. Darüber hatte er lang nachgedacht, als der Gedanke Nummer eins erst einmal gefasst war. Was geschah nach der Umsetzung dieses wertvollen Gedankens; was würden die anderen machen? Mit ihrem Treiben fortfahren, als sei nichts geschehen? Wie viel wussten die vom Beginn der Sache, vom Verbleib des unvergesslichen Mitarbeiters Mathis?Er kam auch nach eingehenden Überlegungen nie auf einen anderen Ausweg als eben den, der jetzt beschritten werden musste: Wenn der Gedanke Nummer eins sich mit entsprechendem Aplomb verwirklichen ließe, würde das die anderen abschrecken. Ganz einfach. Abschreckung. Wer zu solchen Mitteln griff, dem würde man alles zutrauen, moralisch sowieso, das war nicht die Frage, aber vor allem technisch. Praktisch. Und damit würden diese Leute recht haben. Anton Galba war Techniker. »Ich bin Techniker!«, rief er der Bohrmaschine zu, deren Surren im langsamsten Gang den Keller erfüllte. Der Bohrer, mit einem Stück Gummischlauch als Kupplung auf dem Glasstab zum Rührer umfunktioniert, rührte und surrte weiter. Der Tropftrichter auf der rechten Seite war leer, er ließ die Maschine eine halbe Stunde weiterrühren, füllte aber keinen neuen Schnee mehr in das Kältebad, der Matsch verwandelte sich in Wasser. Dann baute er den Rührer ab, hob den Glaskolben aus dem Bad, entfernte den Styroportopf. Die Mischung erwärmte sich. Sehr allmählich kam sie auf Raumtemperatur, keine Reaktionswärme mehr. Keine Reaktion. Die war abgelaufen, zu Ende. Auch ein Laie hätte bemerkt, dass eine Änderung eingetreten war: denn nun gab es in dem Gefäß zwei gelbliche Flüssigkeiten, die sich offenbar nicht vermischen wollten, eine untere und eine dünne obere. »Ich bin verrückt«, sagte er, »vollkommen verrückt!«
Jetzt kam der heiklere Teil des Unternehmens. Er goss den Inhalt des Dreihalskolbens in einen Zwanzig-Liter-Ballon. Diese Riesenflaschen verwendete man zum Ansetzen von Kräuterschnäpsen und zum Vergären kleiner Mengen Beerenwein. Das hatte er früher auch damit gemacht, jetzt nützte er den Ballon, um die Reaktionsmischung zu waschen. Er ließ aus der Leitung das Mehrfache an Wasser zufließen, montierte wieder den Rührer und mischte alles ein paar Minuten durch.Nach dem Abstellen des Rührers bildeten sich wieder zwei Phasen, die obere war nun deutlich mehr geworden. Der Ballon hatte den Vorteil eines Glashahns am Boden, daraus ließ er die untere Phase in einen Plastikeimer ablaufen, setzte dann eine ordentliche Menge verdünnter Bikarbonatlösung zu, die er schon vorbereitet hatte, rührte wieder durch, ließ die Phasen sich wieder trennen. Diesmal ließ er eine kleine Menge der oberen Flüssigkeit mit in den Eimer fließen, neigte den Ballon, um sicherzugehen, dass nur noch organische Phase übrig war. Er schloss den Hahn, ersetzte den Eimer durch eine Flasche. Ein neue, gleichwohl leere Wermutflasche mit eindrucksvollem Etikett, auf der ein Haufen kleingedrucktes Italienisch jeden, der dieser Sprache mächtig war, von den Vorzügen des Inhalts überzeugen und Minuten beschäftigen würde, bis er alles durchgelesen hatte. Anton Galba hatte die Flasche erst vor ein paar Tagen gekauft und den Inhalt bis auf ein einziges Gläschen ins Klo geschüttet; dieses Gläschen hatte er vor einer Stunde auf das Wohl des Nathanael Weiß getrunken. Er stellte die Flasche nicht unter den Hahn wie vorher den Plastikeimer, sondern ließ den Hahn in den Flaschenhals tauchen und die Wandung von innen berühren. Dann machte er den Hahn auf. Sehr langsam. Die Flüssigkeit floss träge durch das Röhrchen, bildete einen Tropfen an der Hahnmündung, bekam aber gleich Kontakt mit der Wand des Flaschenhalses und glitt nach unten, etwa wie Öl. Es sah nach Wermut aus, war aber keiner, es war zäher. Anton Galba spürte die Schweißtropfen, die ihm über die Stirn liefen. Ein süßlicher Geruch breitete sich aus. Dieser Teil der Operation verlangte nach einem Abzug, den hatte er nun einmal nicht, er musste sich mit dem Luftzug
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