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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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…«
    »Aus welchen Gründen immer«, sagte die Frau und erzählte die traurige Geschichte des Josef Mannhard. Ingomar begann zu begreifen, was von ihm erwartet wurde. Das eine, das er befürchtet hatte, wurde explizit nicht erwartet. »Das ist nicht jedem gegeben«, sagte die Frau, »machen Sie sich nichts draus. Ich sage immer: Jeder soll tun, was er gut kann, und von allem anderen die Finger lassen!«
    »Außer, es geht nicht anders«, sagte Nathanael Weiß.
    Sie spazierten im Dunkeln zur Riedhütte. Zu sehen war nicht viel, vom Weg gar nichts mehr, Ingomar hätte nicht mehr hergefunden. Er äußerte sein Bedauern, dass diese Treffen immer am Abend stattfänden, wolle aber natürlich nichts gegen altehrwürdige Traditionen des Femegerichtes gesagt haben …
    »Das mit dem Dunkeln, die Vermummung, gespenstische Höhlen – alles Blödsinn«, erklärte die Frau. »Haben sich die romantischen Dichter ausgedacht. Die wirklichen Freistühlestanden unter freiem Himmel, getagt wurde, wie ja schon der Name sagt, am hellen Tage. Dass wir die Sache auf den Abend verlegen, hat nichts mit Traditionen zu tun, sondern mit der Berufstätigkeit vom Nathanael. Er kann untertags schlecht weg.«
    »Sie könnten aber schon?«, fragte Ingomar.
    »Ja, ich könnte schon. Ich bin Hausfrau, ich kann es mir einteilen. Es wird aber ohnehin Zeit, dass ich mich vorstelle.« Sie lächelte, gab ihm die Hand und sagte ihren Namen.
    Ingomar Kranz staunte.

    *

    Was Direktor Baumann betraf, so betonte Ingomar Kranz in seiner neuen Rolle als Korrektiv und dritter Mann, keinerlei Einwände zu haben. Er gab nur zu bedenken, dass Baumann mit seiner Verräterei nicht allein sei, da gebe es allein im näheren Umkreis ein halbes Dutzend andere, die, wenn überhaupt, dann nur wenig besser seien als der Bankdirektor. Das wurde zur Kenntnis genommen und erwogen. Man kam zum Schluss, dass es bei den beschränkten Kräften und Mitteln des Freistuhls von Dornbirn nicht darum gehen könne, alles vorkommende Unrecht auszumerzen, sondern dass man sich wohl oder übel auf gewisse Beispiele konzentrieren müsse, von denen aber – so wurde gehofft – eben auch eine Beispielwirkung auf andere ausstrahlen würde und so zu einer Besserung führen könne. Ingomar hielt das für Wunschdenken, sagte es aber nicht. Er konnte den beiden nicht noch mehr Lasten auflegen, wenn er schon selber nicht …
    »Es geht uns nicht um Listen«, unterbrach Nathanael Weiß seine Gedanken. »Listen lassen sich schnell schreiben. Ein Name ist gleich einmal eingetragen. Und dann noch einer undnoch einer. Kaum versieht man sich’s, stehen vierhundert Namen drauf. Der Betreffende braucht nur noch unten zu unterschreiben. Das Elend des 20. Jahrhunderts kam auch von diesen verfluchten Listen: Ist einmal eine da, muss sie abgearbeitet werden, verstehen Sie?«
    »Ich glaube schon … Man muss weitermachen, bis der letzte Name durchgestrichen ist. Wie ein Zwang …«
    »Genau so ist es und genau deshalb machen wir es nicht so. Schon aus diesem Grunde gibt es am Ende, wenn es zur Sache geht, nichts Geschriebenes bei uns.«
    »Wir wollen gar nicht erst in die Versuchung einer Liste kommen«, sagte die Frau. »Kein Papier, kein Stift – keine Liste. Listen führen zum Massenmord. Wir sind keine Massenmörder.«
    »Nein«, sagte Ingomar Kranz, »Massenmörder seid ihr nicht.«
    Die Durchführung der Aktion sollte nach bewährtem Muster erfolgen: Weiß sah keinen Sinn darin, nach irgendeiner Richtung davon abzuweichen. »Wir machen es so wie immer«, sagte er.
    »Und wie geht das?«, fragte Ingomar Kranz, der sich nun, da seine Mithilfe bei der Aktion selber nicht gefordert wurde, durchaus für das Procedere interessierte. Auf diese einfache Frage wusste Weiß keine Antwort – er kam nun drauf, dass gar kein Schema existierte, keine Vorgehensweise; sie hatten sich bis jetzt von den Umständen inspirieren lassen und danach gehandelt.
    »Sehen Sie«, sagte die Frau, »wie wertvoll Sie sind, Herr Kranz?«
    »Ingomar«, sagte der, »ich weiß, es kommt der Dame zu, aber unter unseren besonderen Umständen, also wenn es erlaubt ist, würde ich vorschlagen – ich heiße Ingomar …« Erstreckte ihr die Hand hin, sie schlug ein, Nathanael schloss sich an.
    »Worauf ich hinauswollte«, sagte sie dann, »von wegen wertvoll: Ingomar fällt auf, was uns beiden verborgen bleibt. Wir haben keine Vorgangsweise, das musst du zugeben.« Nathanael nickte. »Wir gehen einfach die Wand lang, ohne Plan. Nur ist uns

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