Alles Fleisch ist Gras
Sonderurlaube, deren Anlass Weiß vergessen hatte, und durch die leider sich weiter hinziehendeErkrankung des Kollegen Mathis. Der Name war recht häufig.
»Apropos Mathis«, unterbrach ihn Weiß (auf dieser Rangebene ging das ab und zu), »das scheint nun doch ein Fall zu werden mit diesem Mathis.«
Chefinspektor Schoder war irritiert, dann fiel ihm die Abgängigkeitsanzeige wieder ein. »Der Laborant von der ARA?«
»Genau. Der Mann ist einfach weg, ansatzlos. Familiäres Umfeld hat er nicht, Streit im Betrieb war angeblich auch nicht. Auto da, sonst alles da, soweit wir das überblicken können. Koffer, Reisetaschen. Keine ungewöhnlichen Kontobewegungen.«
»Fahndung?«
»Schon raus. Bis jetzt ohne Ergebnis.«
»Wie lang ist das jetzt her?«
»Eine Woche.«
»Oje!«
»Ja, das glaub ich auch …«
»Dann bleibt es wieder am Spaziergänger hängen, der tut mir jetzt schon leid.«
Sie lachten beide. Der Spaziergänger war jene bedauernswerte Person, die den Selbstmörder irgendwo im Wald fand, meistens Wochen später. Den Anblick wurde er sein ganzes Leben nicht mehr los. Es musste auch kein Spaziergänger sein, das war nur der polizeiinterne Terminus technicus, eine scherzhafte Bezeichnung, ein semantisches Relikt aus vergangenen Tagen; denn real waren es Jogger, Radfahrer, Forstarbeiter, Jagdschutzorgane, die Leichenfunde machten, wer heute in den Wald ging, hatte dort sportlich oder beruflich zu tun, man ging nicht mehr einfach so spazieren. Nicht so tief in die Wälder, wo die Selbstmörder an den Ästen faulten.
»Ich bin nicht so sicher punkto Suizid«, sagte Weiß. »Wirhaben den Computer untersucht. Da ist schon Verschiedenes drauf …«
»Was?« Chefinspektor Schoder schien interessiert.
»Besagter Mathis hatte ausgedehnte Kontakte zu rechtsradikalen Gruppierungen besonders in Deutschland, aber auch in Österreich«, sagte Weiß.
»Kinderpornos?«
»Nein, keine Spur.«
Schoder lehnte sich etwas zurück und seufzte. »Wenigstens etwas …« Seit Chefinspektor Schoder kinderpornographische Aufnahmen auf einem in Dornbirn beschlagnahmten Computer hatte ansehen müssen, war er destabilisiert. Er konnte oft nicht mehr durchschlafen, wovon nur seine Frau wusste. Alle anderen wussten, dass er sich Vorwürfe machte; das tat er nämlich öffentlich vor der gesamten Mannschaft, natürlich als wir formuliert. Wir haben versagt. Wir haben nicht gemerkt, was da im Schoß der Gesellschaft heranwächst . Er sagte tatsächlich Schoß der Gesellschaft und Ähnliches – und irgendetwas an seiner Person verhinderte auch, dass ihm dabei ins Gesicht gelacht wurde, wie es bei jedem anderen gewesen wäre, der sich so ausgedrückt hätte. Weiß schwankte bei der Beurteilung seines Chefs zwischen wohlwollender Herablassung und Ärger. Die Herablassung kam vom Vergleich der Fähigkeiten, seiner eigenen und Schoders, und wenn er sich den großbäuerlichen Hintergrund vergegenwärtigte. Der Ärger kam spiegelbildlich vom Vergleich der Positionen. Von Rechts wegen hätte er auf Schoders Sessel sitzen müssen und der, nein, nicht auf seinem, sondern auf einem Sessel mindestens eine Ebene tiefer. Aber Schoder war eben in der herrschenden Partei und Weiß in gar keiner. Mit seinem Stellvertreterposten war er in diesem Land an die gläserne Decke gestoßen, auch wenn manche Anhänger der herrschendenPartei behaupteten, eine solche Decke gebe es gar nicht. Sie führten als Beweis eben Chefinspektor Weiß und seinen Stellvertreterposten an.
»Das ist zumindest interessant«, sagte Schoder, ganz neutrales Interesse. Ihm war alles recht, was nicht in die Nähe von Kinderpornos führte. Er hatte vier Enkel, zwei Buben, zwei Mädchen.
»Mathis hatte Mailkontakt zu einschlägigen Adressen aus der rechten Szene und hat sich auch in diversen Internetforen geäußert. Die Auswertung ist noch nicht abgeschlossen, er war da wohl auf der rassischen Schiene unterwegs, Deutschtum, der nordische Mensch und so weiter. Wir haben auf dem Computer auch einen Haufen Fotos gefunden«, setzte Weiß fort. Schoder rutschte auf seinem Stuhl herum.
»Nichts Auffälliges. Keine Kameradentreffen oder so … Dort ist man nicht so erbaut über Fotos.«
»Was ist es dann?«
»Landschaftsaufnahmen. Natur. Urlaubsfotos. Der Mann war viel unterwegs. Immer allein. Keine Begleiterin zuzuordnen. Die Fotos sind alle nachbearbeitet, geschärft, geglättet, ich kenn mich da auch nicht aus, der Kollege Rhomberg sagt aber, der Mann hat was verstanden vom
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