Alles Fleisch ist Gras
Hopfner kannte es natürlich von Spaziergängen. Ein schlichter Quader mit einem Pultdach. Sogar jetzt, im schwindenden Mondlicht, sah man dem Haus seine Herkunft aus dem Fertighauskatalog an, das akkurat Eckige, Geradlinige der Konstruktion. Aufgestellt an einem Tag. Weißer Putz, an der südlichen Längsseite ein Balkon mit drei Fenstertüren, vier bis zum Boden reichende Fenster in unregelmäßiger Anordnung im Erdgeschoss, eine davon breiter, das war die Doppeltür auf die Terrasse. Dort standen ein Gartentisch und zwei Stühle. Unten ein großer, fast den ganzen Grundriss beherrschender Raum, oben dann ein Sammelsurium von Zimmerchen, so sahen diese Pläne aus. Hopfner hatte die schmalere Westseite des Quaders vor sich, da gab es zwei kleine Fenster (vielleicht die Küche) und einen Abgang in den Keller, das hatte der Originalplan nicht vorgesehen, Hopfner war sich sicher, er kannte diese Kataloge, Keller waren out und drückten die Baukosten um mindestens siebzigtausend, wenn man sie wegließ. Hier hatte man geglaubt, nicht auf den Keller verzichten zu dürfen. Von einer Hintertür keine Spur, vielleicht hatte die Anonyma ja die Kellertür gemeint.
Er stellte die Tasche ab und nahm einige Gegenstände heraus. Alles im Haus war dunkel. Er hielt sich an den nördlichen Zaun und ging auf das Haus zu. Die Gegenstände aus der Tasche hielt er fest, in jeder Hand einen. Er dachte auch jetzt nicht darüber nach, was alles geschehen konnte und was zu tun war. Was zu tun war, ergab sich aus der Situation, hier undjetzt. Die Kellertür würde offen oder versperrt sein. Das würde er sehen und dann entscheiden. Gerhard Hopfner war ganz ruhig.
Als er die Außenstiege zum Keller erreicht hatte, stieß ihn jemand in den Rücken, er fasste nach dem Geländer, wollte sich umdrehen, hörte ein nicht einzuordnendes Geräusch und spürte einen zweiten Stoß. Er stürzte die Treppe hinab. Und war tot.
Sie zog sich in den Schatten der Hecke zurück. Hinlaufen und sich überzeugen war zu gefährlich. Sie lehnte sich an den Stamm des Apfelbaums im Nachbarsgarten und atmete tief durch. Auch dieses Haus war dunkel. Aber deshalb, weil die Besitzer noch in Italien waren. Vielleicht hatte Nathanael Weiß etwas gehört. Dann würde er nachschauen und seine Schlüsse ziehen. Sie hatte nicht viel Zeit. Das Auseinandernehmen ging leicht, auch im Dunkeln. Hundertmal geübt. Die Waffe konnte man in keinem Laden kaufen. Ihr Vater hatte sie gebaut. Schaft, kurzer Lauf, Kaliber .38 und ein Schalldämpfer zum Aufschrauben. Das Schrauben war in der Finsternis nicht ganz ohne, das musste man geübt haben. Sie hatte geübt. Zielfernrohr, Gewehr und Schalldämpfer ergaben drei Teile, alle unter einer weiten Jacke zu transportieren, das längste Teil, der Schaft mit dem Lauf, an einer Schlaufe über der Schulter. Das Ding funktionierte nur auf kurze Distanz, dreißig Meter maximal. Aber das genügte, wenn man mit dem Auto an die richtige Stelle gefahren war, ein Reh zu erlegen, das, vom Scheinwerfer geblendet, stehenblieb; dann schnell rein in den Kofferraum und weg. Ihr Vater war ein begeisterter Jäger gewesen. Und nie erwischt worden.
Sie konnte nur hoffen, dass Hopfner tot war, das Kaliber war für die Distanz ein wenig schwach. Aber sie hätte hier keine laute Waffe einsetzen können. Und ohne Deckung nichtnäher rangehen. Man konnte alles machen, wenn man es vermied, Krach zu machen und gesehen zu werden.
Sie verstaute die Teile unter dem Anorak und verschwand.
*
Eine Frau, die Stimme kannte er.
»Herr Weiß, Sie sollten einmal Ihre Kellertreppe kontrollieren. Ich glaube, da hatte ein Bekannter von Ihnen einen Unfall.«
»Wer sind Sie? Wissen Sie überhaupt, wie spät es ist?«
Sie unterbrach das Gespräch. Er ließ den Hörer sinken. Er war schon beim zweiten Klingelton aufgewacht, beim vierten war er beim Telefon in der Diele gewesen. Jetzt war er hellwach. Polizistentraining. Er ging wieder in den oberen Stock hinauf und holte die Glock. Das Haus war zu groß für eine Person. Seit Adeles Auszug spürte er das. Vier Zimmer im ersten Stock, was fing er mit vier Zimmern an? Zwei waren für die Kinder gedacht gewesen, die sich nie eingestellt hatten.
Er nahm die Glock und die LED-Stablampe an sich, die immer auf dem Nachtkästchen lag. Licht machte er nicht. Im Keller hielt er den Schein auf den Boden gerichtet, lauschte an der Außentür. Alles ruhig. Die Tür war mit Stahl verstärkt. Er drehte den Sicherheitsschlüssel mit der
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