Alles Fleisch ist Gras
Notwehr! Verstehen Sie? So eine Art Zwischenfall …«
»Und das glaubt man ihm?«
»Was wollen Sie denn? Er ist bei der Polizei.«
»Aber wie will er das denn …?«
»Wollen Sie’s ausprobieren? Glauben Sie mir nicht? Was glauben Sie, warum ich das erzähle? Er ist damit schon einmal durchgekommen. Tätlicher Angriff auf einen Polizeibeamten. Mit einem Messer, jawohl. Notwehr, Schusswaffengebrauch – hören Sie, ich kann Ihnen hier keinen ganzen Roman erzählen …«
»Schon gut, ich glaube Ihnen, das hab ich ja nicht gewusst, dass er schon einmal … Herrgott, was soll ich denn jetzt tun? Da … da war so ein Anruf …«
»Was für ein Anruf?«
»Von der Polizei … Lechner hieß er, glaub ich …«
»Was wollte der?«
»Hat so rumgefragt, ob ich verreise … Und ich soll mich zur Verfügung halten.«
Die Stimme lachte. »Sehen Sie? Geht schon los. Schlaue Vorbereitung. Die Erhebung hat nichts Konkretes ergeben, aber das Misstrauen des Bewussten geweckt, er kommt also selber, bumm! Morgen Nachmittag. Er weiß, dass Sie da nicht im Geschäft sind.«
»Das ist … das ist furchtbar! Was soll ich denn jetzt machen …«
»Mein Gott, fangen Sie bloß nicht an zu heulen! Sie sind doch nicht ohne … ohne Hilfsmittel, oder?«
»Ja, schon, aber …«
»Mit ja, aber ist es aus, Herr Hopfner. Jetzt heißt es hopp oder tropp. Ich kann Ihnen nicht Ihre Arbeit abnehmen.«
»Wie meinen Sie das, welche Arbeit?«
»Ich rede davon, dass Sie jetzt einfach hingehen und Ihren Arsch retten, davon rede ich. Den Spieß umdrehen!«
»Ich gehe zu ihm, bevor er zu mir kommt?«
»Zum Beispiel. Für Sie ist es schwerer, klar, das versteh ich schon, Sie haben nicht den Apparat auf Ihrer Seite. Und Sie müssen sich auch beeilen. Er wohnt Beethovengasse 20, das ist das letzte Haus am Wald. Eh günstig … in der Nacht … Ich muss jetzt Schluss machen.«
»Warten Sie, wie soll ich denn …«
»Herr Hopfner, ich kann Sie nicht an der Hand nehmen – Sie sind nicht ganz unschuldig an der Lage, in der Sie sich befinden, wir brauchen das nicht zu erörtern. Ich habe Ihnen gesagt, was nötig ist. Handeln müssen Sie selber. Und wie es aussieht, heute Nacht, morgen ist es zu spät – außer Sie wollen sozusagen durchdrehen. Dann gehen Sie morgen Vormittag einfach auf den Posten und legen ihn um.«
»Das wäre verrückt, das tu ich nicht …«
»Eben. Dann tun Sie halt das Richtige. Viel Glück, leben Sie wohl – und vor allem: länger als bis morgen Nachmittag.« Sie lachte. »Ein Tipp noch: Es gibt da eine Hintertür. Von vorn wär’ es mir zu gefährlich, zu viele Leute. Aber ich will Ihnen nicht dreinreden.« Sie legte auf.
*
Gerhard Hopfner hätte gern darüber nachgedacht, wer die Frau sein mochte, aber dazu hatte er keine Zeit. Es wurde schon dunkel. Er überlegte, was er anziehen sollte. Am unauffälligsten wäre ein Joggingdress, das würde ihn gleichsam unsichtbar machen. Neun von zehn, die nach Einbruch der Dunkelheit im Wald unterwegs waren, hatten so etwas an. Nur ließsich das, was er mitnehmen musste, nicht darin unterbringen, denn es war deutlich größer als ein Walkman. Normale Spaziergänger hatten einen Hund dabei oder sie waren zu zweit, um sich unterhalten zu können. Ein einzelner Mann in Freizeitkleidung fiel auf – der konnte leicht ein Ziel vor Augen haben, zum Beispiel das am Waldrand gelegene Haus Beethovengasse 20. Er entschied sich für das Joggingdress plus kleiner Tragtasche. Darin konnte der Läufer seine Straßenschuhe aufbewahren und seine isotonische Flüssigkeit und weiß Gott was für andere Utensilien – und mit der Tasche konnte der Läufer gehen , statt zu laufen, das macht niemand, mit einer Tragtasche durch den Wald rennen, das sieht blöd aus; aber gehen ist möglich. Zum Auto zurückgehen oder vom Auto zum Start der Finnbahn gehen oder was auch immer. Gehen mit Tasche und Jogginganzug als sportliche Vor- oder Nachbereitung, kein Problem.
Die Tasche war schwer. Sie enthielt keine Straßenschuhe und keine Wasserflasche, sondern einen Hammer, einen schweren Schraubenzieher, ein Jagdmesser, ein kurzes Brecheisen, eine Dose nicht zugelassenen Pfefferspray, ein Paar Gummistiefel. Und einen 38-er Revolver Marke Rossi. Festnehmen lassen durfte er sich nicht mit der Tasche; es gab auf der ganzen Welt keine Sportart, die das Mitführen dieser Gegenstände glaubhaft gemacht hätte, es sei denn, es handele sich um die Einzelsportarten Einbruch und Mord.
Er parkte das Auto weit
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