Alles Fleisch ist Gras
stellte er sich vor. Anpacken wäre höchst willkommen. Gerhard Hopfner war schwer. Tote sind immer schwer, tragen kam nicht in Frage. Er hatte im Keller einen alten Teppich, grauer Synthetikstoff. Er zerrte ihn drauf, schleifte dann den Teppich ins Treppenhaus. Das schwerste Stück war die Kellertreppe, als Gerhard Hopfner oben in der Diele lag, war Nathanael Weiß in Schweiß gebadet. Er setzte den Subaru Forrester ein paar Meter zurück, bis das Heck auf Höhe der Haustür war. Dann ging, bildete er sich ein, alles ganz schnell. Die mit Paketschnur fixierte Teppichrolle rausschleifen, an die hintere Stoßstange lehnen, in den Kombiwuchten, Haustür zu, Heckklappe zu, Abfahrt. Schneller ging es nicht. Wenn ihn jemand gesehen hatte, dann hatte ihn jemand gesehen, daran war nicht zu rütteln, sein Haus lag, obwohl am Ende der Straße, so doch in einer Siedlungsstraße mit einem Dutzend anderer Häuser. Er hätte diese Aktion nie bei sich zu Hause durchgeführt; es war alles zu unsicher. Jetzt konnte er nur hoffen. Dieses Hoffen und Bangen kommt immer dann, wenn man das Gesetz des Handelns verloren hat und anfängt, zu reagieren statt zu agieren . So ging das nicht weiter, da hatte die Anruferin recht.
Als er an der ARA ankam, zeigte der Himmel im Osten das erste Grau. Auf dem Gelände war niemand zu sehen. Er fuhr bis zur Blechhütte, Heckklappe zur Tür gerichtet, sperrte die Tür auf und zog einen »langen, dunklen Gegenstand« heraus, wie das ein Augenzeuge nennen würde. Da konnte sich dann jeder seinen Reim drauf machen.
Es ging alles so schnell wie immer. In der Hütte höllischer Krach, draußen war es gar nicht so laut. Die Anlage gab auch in der Nacht seltsame Geräusche von sich, automatische Abläufe, die Kompressoren, die Rührwerke; er hatte das nicht eindeutig zuordnen können, auch als er eine halbe Nacht in der Nähe verbracht hatte, um zu hören, was zu hören war. Zu hören war eine Menge, aber für einen Laien nicht zu identifizieren. Das Mahlen des Häckslers ging darin unter. Von da drohte keine Gefahr. Die kam nur vom Augenzeugen. Bevor er ins Auto stieg, winkte er ihm zu, diesem Zeugen, der sich drüben, auf der anderen Seite des Betriebshofs, im Gebüsch hinter dem Drahtzaun verstecken mochte. Er winkte ihm zu und fuhr los.
Das Auto. Gerhard Hopfner war nicht zu Fuß gekommen, sondern wie jeder aufrechte Jogger mit dem Wagen an einen bestimmten Standplatz gefahren, um von dort aus das Laufenzu betreiben, auch wenn es sich in seinem Falle nur um vorgebliches Laufen handelte, war davon auszugehen, dass er nicht durch Abweichung von der üblichen Praxis Aufsehen hätte erregen wollen. Weiß kannte das Auto des Kaufmanns, das gehörte zu seinen Planvorbereitungen, die besagter Hopfner so unschön und unerwartet durchkreuzt hatte. Der Wagen, ein großer Volvo-Kombi, trug das Wunschkennzeichen »DO 7 HOPF«, was die Frage aufwarf, wes Geistes Kind jemand sein musste, der für so eine Idiotie auch noch Geld ausgab – aber die Frage war nicht einmal mehr akademisch, sondern obsolet. Niemand würde darauf noch eine Antwort finden. Noch wichtiger: Niemand würde eine suchen, Gerhard Hopfner gehörte der Vergangenheit an, die Erinnerungen an ihn würden umso schneller verblassen, als niemand Gründe hatte, solche zu bewahren. Was sich allerdings noch im Reich des Seins befand, war Hopfners Auto, das von dem Platz, wo er es abgestellt hatte, verschwinden musste. Dieser Ort war schnell gefunden, der Volvo stand an einem Parkplatz auf der orographisch linken Seite der Ach, dem dritten, den Weiß aufsuchte. Er verstaute die Tasche mit den Zivilklamotten im Kofferraum, sperrte ab und fuhr nach Hause. Gerhard Hopfner war zum Joggen gefahren, hatte sich umgezogen und war nicht mehr zurückgekehrt. Basta.
Auf dem Heimweg dachte er an das, was die Unbekannte gesagt hatte. Dass es auf diese Art kein Zustand sei und so weiter. Die Frau machte sich Sorgen um ihn, das rührte ihn. Er musste ihr recht geben. Er hatte sich bisher nur mit den sehr praktischen Aspekten der Läuterung befasst, mit der technischen Durchführung – worauf sie nun hinwies, waren die »gesellschaftlichen Folgewirkungen«. So hätte man das damals in Sozialkunde genannt. Er hatte dieses Fach nie gemocht, weil die Begriffe alle so schwammig gewesen waren, ein HaufenGerede, dessen Kern sich von selber verstand; gleichzeitig schien etwas dabei zu sein, das sich seinem Begreifen entzog, er wusste nur nicht, was das sein sollte. Jetzt hielt
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