Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
Vom Netzwerk:
er sich an das Konkrete: Jede Aktion löste eine Reaktion aus, auch die Läuterung. Die massivste dieser Reaktionen war von Hopfner gekommen, es gab sicher noch andere, die im Verborgenen blieben. Darum hatte er sich bis jetzt nicht gekümmert. Es ließ sich auf einen Punkt bringen: Er konnte nicht laufend Leute verschwinden lassen, ohne dass dies irgendwem irgendwann auffiel. Oder doch? Bisher, so musste er sich eingestehen, hatte er diesen Problemkreis nicht etwa verdrängt. Im Gegenteil: Er war, wie ihm erst jetzt bewusst wurde, mit größter Selbstverständlichkeit davon ausgegangen, dass es gar kein Problem darstellt, wenn gewisse Individuen verschwinden. Für niemanden. Alle wären froh darüber, so hatte er sich das vorgestellt. Lag er damit falsch? Die Anruferin schien es zu glauben. Wie immer es sich damit verhielt, wer immer nun recht hatte, er musste das mit ihr besprechen. Nicht schnell, schnell am Telefon. Und er musste rausfinden, was es mit Feme auf sich hatte. Das Wort kam ihm bekannt vor, irgendwann hatte es sogenannte Fememorde gegeben, aber das hatte mit dem hier nichts zu tun, das konnte sie nicht gemeint haben.

    *

    Sie war erschrocken, als sie ihn winken sah, er hatte aber nicht genau in ihre Richtung geschaut, vermutete sie weiter östlich, aber er schien zu wissen, dass sie da war. Sie hatte sich wahnsinnig beeilt, um vor ihm an der Anlage zu sein, und es fast nicht geschafft; als sie ihren Posten hinter der Esche einnahm, war er schon am Tor. Der Mensch war schnell. Das imponierte ihr auch. Die Männer ihrer Umgebung hatten sich, so sehr siedie auch mochte, sogar liebte, immer durch eine gewisse Lebensträgheit ausgezeichnet, nicht Entschlusslosigkeit, sie trafen schon Entschlüsse, aber erst nach enervierendem Hin und Her – und in der Umsetzung waren sie dann ähnlich langsam. Dieser Weiß war gefährlich, da gab es keinen Zweifel. Und verrückt. Aber was hieß das schon. Es bezeichnete doch nur eine Abweichung vom Gewöhnlichen, eine »Verrückung« eben um ein paar Zentimeter, na schön, vielleicht auch Meter. Das reichte ja. Sie war sich bei allem, was sie tat, im Klaren, dass keine der Frauen, die sie kannte, dasselbe tun würde – obwohl alle oder fast alle dazu imstande wären. Physisch wie psychisch. Es hinderte sie wie auch fast alle Männer nur eine geheime Sperre, eingebaut irgendwo im Kopf, an den notwendigen Taten. Bei ihr hatte man auf den Einbau dieses Sperrmechanismus vergessen. Oder es war eine Mutation, ein genetischer Zufall. Wie manche Leute keine Milch vertragen. Auf jeden Fall hatte es nichts mit Moral oder Ethik oder so was zu tun, überhaupt nichts. Alles nur Ausreden, unnützes Gewäsch. Alles würde viel besser laufen, wenn die anderen Leute das einsähen, das mit der genetischen Abweichung, und die wenigen zufällig Geeigneten das tun ließen, was getan werden musste. Denn die Abweichung war im Gegensatz zur Milchunverträglichkeit etwas Nützliches, alle hatten etwas davon, Herrgott noch mal! Wenn jemand die Dinge tat, die getan werden mussten. Sie zum Beispiel und dieser Weiß. Wenn sie ihn richtig einschätzte, würde er ihren Rat befolgen und sich bezüglich Feme schlaumachen. Es gab ja Quellen dazu. Der Mann hatte viel zu tun, stand mitten im Beruf. Sie gab ihm eine Woche.

6

    Die hat dir geholfen?«
    »Wenn ich es doch sage!«
    Anton Galba machte einen bestürzten Eindruck. Er wusste das und bemühte sich, so unaufgeregt interessiert zu klingen, wie es erforderlich war. Aber es gelang ihm nicht.
    »Bist du sicher, dass es dieselbe Frau war?«
    »Hörst du eigentlich nie zu? Ich hab es doch eben gesagt. Die hat es praktisch zugegeben, dass sie ihn umgelegt hat. Hat sogar ein Dankeschön eingefordert.«
    Galba riss sich zusammen. Er wollte aufstehen und wegrennen. Lautes Schreien hätte er unterdrücken können. Noch. Aber Aufstehen und Wegrennen erschien ihm als adäquate Reaktion auf das Gehörte. Anstelle dessen riss er sich zusammen. Versuchte es noch einmal mit vernünftigem Argumentieren.
    »Dir muss doch klar sein«, sagte er, »dass diese Frau eine Bedrohung ist. Schon, weil du sie nicht kennst. Sie kennt aber dich. Du sagst, sie steht auf deiner Seite … nein, warte, sie scheint auf deiner Seite zu stehen, das sind deine eigenen Worte! Das ist also nicht einmal sicher, dass sie auf deiner Seite steht! Was ist, wenn sie es sich anders überlegt? Wenn sie …«
    »Ja, wenn sie was?«, unterbrach ihn Weiß. Er war lauter geworden, als er beabsichtigt

Weitere Kostenlose Bücher