Alles ganz Isi - Islaendische Lebenskunst fuer Anfaenger und Fortgeschrittene
und tiefen Dekolletés durch die Innenstadt, manche tragen bei acht Grad Celsius Flipflops oder Ballerinas
ohne Socken. Die Logik: Wo die Durchschnittstemperaturen sogar im Sommer unter zwanzig Grad liegen, sind acht Grad gar nicht
mal so schlecht. (Die Isländer zelebrieren schon Mitte April den ersten offiziellen Sommertag, dafür gibt es sogar einen eigenen
Feiertag.)
Außerdem parken viele ihr Auto ganz in Zielnähe, da braucht man keine dicke Jacke. Die Autos sind ihre Jacken. Auf dem Laugavegur
und den angrenzenden Straßen finden sich rund vierzig Boutiquen, die meisten werden von den Designern direkt betrieben. Steinunn
zum Beispiel war früher Head-Designerinbei Calvin Klein und Gucci, ihre edlen Kostüme zeichnen sich durch einen individuellen Schnitt aus; nur wenige Häuser weiter
ist Mundis Label. Der 2 4-Jährige schaffte es mit seinen poppigen Wolloutfits schon in die britische ›Vogue‹, seine erste Kollektion, »Too cool for gravity«,
kreierte er mit 19 Jahren. Für Modedesigner wie ihn sind Isländerinnen dankbare Kunden, denn sie wollen sich stets neu erfinden und sind offen
für stilvoll verrückte Kleidung. Es gebe nicht den einen isländischen Style, sagt Mundi und beschreibt den Dresscode seiner
Landsleute als lebendig, lustig und aufregend.
Fassade von Naked Ape und Forynja
Nur unweit von Mundis Label ist die Boutique Forynja und Naked Ape, in der eine Gruppe von Designern zusammenarbeitet und
ihre Mode verkauft. Wie so viele Geschäfte in 101 Reykjavík ist Naked Ape mehrfach umgezogen. Vor drei Jahren lag der Laden fünf Häuser weiter, dann zwischenzeitlich in einer
Seitenstraße und nun in der Bankastræti, die direkt in den Laugavegur übergeht. Jeder Winkel der Boutique hat einen eigenen
Stil: Der Fußboden ist schwarz-gelb-weiß gestreift, die eine Wand türkisfarben, die andere ziert eine dunkelrote Tapete mit
Vögeln und Blumen, im hinteren Bereich setzt eine goldgelbe Barockwand den Kontrast zu den farbenfrohen Kleidern und Röcken.
Der Laden ist bunt und ein wenig schrill, genau wie die Kollektion: Zu der gehören hellblaue Seidenkleider mit knallorangenen
Ornamenten, Shirts in neonfarbenem Graffiti-Muster und sogar unifarbene Oberteile, die dann aber durch lange Schnüre am Kragen
wieder etwas Einzigartiges bekommen. Ähnlich fantasievoll wie die Schnitte und Farben sind auch die Namen der Kleidungsstücke:
Sie heißen »Alarm«, »Gefängniszeit« oder »Großmutters Traum«.
»Am beliebtesten sind momentan die bunten Leggins«, sagt Thelma Björk Jónsdóttir. Einige Exemplare sind pink-lila-mintgrün-schwarz
gemischt, andere mit grellen, großflächigen Ornamenten versehen. »Die Leggins werden handgedruckt, jedesExemplar ist ein Einzelstück.« Also genau das, wonach die modebewusste Isländerin sucht. Die knallengen Hosen werden häufig
mit bauschig geschnittenen Kleidern oder Pullovern kombiniert, dazu tragen sie High Heels. Nicht selten sind die Absätze so
hoch, dass die Isländerinnen kaum darauf laufen können und daher nur langsam durch die Straßen stöckeln. Das rettende Ufer
(ein Café oder das Auto) liegt aber meist in unmittelbarer Nähe.
Auch mit Megafon den Chic bewahren
Im Vergleich zum Sortiment der Boutique ist das Outfit von Verkäuferin Thelma eher schlicht. Sie trägt ein schwarzes Kleid,
dazu eine türkisfarbene Strumpfhose und braune Lederstiefel. Ihre Individualität drückt sie vor allem durch ihren Kopfschmuck
aus: ein Haarreif, auf den mehrere mit Perlen besetzte silberne Blumen zu einem Gesamtkunstwerk gestickt wurden. Elegant und
anmutig sieht die blonde Isländerin damit aus. Thelma ist Absolventin der Kunstakademie, sie hat den Haarschmuck selbst entworfen
und in Handarbeit angefertigt. Inspiriert wurde sie durch ihre Großmutter, die bis heute tatkräftig mitstickt und häkelt.
Auf einem Regal liegen einige ihrer handgearbeiteten Kreationen. »Wir wollen unseren Kundinnen dadurch eine verführerische
Sinnlichkeit und eine auffällige Individualität verleihen«, sagt die Designerin. Der Haarschmuck werde zu einem Teil der Persönlichkeit.
Die Kleider aus den Designerläden in 101 Reykjavík werden hauptsächlich hier im Szeneviertel getragen. Allgemein kann man sagen, dass der Mut zu ungewöhnlichen Outfits
vor allem von den Frauen ausgelebt wird, die Männer scheinen nach Meinung von Jungdesigner Mundi zu glauben, dass es cool
ist, Fashion und gute Kleidung zu ignorieren.
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