Alles Gold Der Erde
sie zu Kendra, nun wolle sie mit Mrs. Riggs in deren Haus gehen.
»Mrs. Riggs möchte mir ihre Einrichtung zeigen. Wenn dieser Laufbursche von Chase & Fenway kommt, sag ihm, er soll die Lebensmittel in die Küche bringen.«
Und damit ging sie. Die Zeitungen lagen auf dem Tisch. Kendra nahm den Star zur Hand. Sie laß, daß man zwei Männer eingesperrt hatte, weil sie eine Kegelbahn ausgeplündert hatten. Ein anderer Mann, offenbar ein etwas anständigerer, hatte eine Werkstatt eröffnet, wo er Tische und Stühle herzustellen gedachte.
Sie sah Anzeigen der meisten Geschäfte, an denen sie am Vormittag vorbeigekommen war. Chase & Fenway offerierten Besen, Eimer, Nägel, Äxte, Farben, Brandy, Gin, Kämme, Tabak, Pfannen, Seife, Wein und Streichhölzer. Der Schneider Lazarus Everhard gab bekannt, daß er künftig auch Uniformen anfertigen wolle. Der ›New York Store‹ bat jedermann dringend, Gemüsepillen zu kaufen, die ein hervorragendes Heilmittel seien, das garantiert bei Pocken, Gicht, Verstopfung und Frauenleiden Linderung verschaffe. Der Bee Hive-Laden hatte Korkenzieher, Samen, Schießpulver, Herrenhüte und Damenschals zu bieten.
In diesem Augenblick sah Kendra auf.
Und da stand er.
Sie wußte nicht – ihr ganzes Leben lang würde sie es nicht wissen –, ob sie nun zufällig aufgesehen oder ob sie seinen Blick gefühlt und deswegen den Kopf gehoben hatte. Jedenfalls sah sie auf, und über den Zeitungsrand hinweg erblickte sie ihn.
Er stand unter der Tür, ein fremder Mann, der verführerischste, den sie je gesehen hatte, und er beobachtete sie mit unverhohlenem Vergnügen. Als sich ihre Blicke trafen, lächelte er. Er mochte etwa dreißig sein. Er war groß und hager. Wie er so dastand mit der einen Hand an der Tür und der andern auf der Hüfte, hatte er etwas Schlaksiges, zugleich aber auch etwas Nobles an sich. Er trug eine Lederjacke, ein buntkariertes Wollhemd und eine Hose aus braunem Kammgarn, die in derben Stiefeln steckte, welche ihm fast bis an die Knie reichten. Einen Hut hatte er nicht auf; sein braunes Haar war vom Wind zerzaust; eine Locke fiel ihm in die Stirn bis auf die Augenbraue. Er schaute Kendra mit einem erfahrenen und wissenden Lächeln an, und Kendra fühlte augenblicklich, daß er von Frauen weit mehr verstand, als ihr über Männer bekannt war. In der Tat fühlte sie, daß er über alles mehr wußte als sie, so daß sein anerkennender Blick wohl um so höher zu bewerten war. Ganz offen zeigte er ihr seine Bewunderung.
Unverwandt blickte er sie an, und sie sah ebenso unverwandt ihn an. Er sagte nichts, und sie war außerstande, etwas zu sagen. Dies alles dauerte nur einen Moment, aber dieser Moment währte länger als notwendig, ehe er fragte:
»Wie geht es Ihnen? Ich bin der Laufbursche von Chase & Fenway.«
Kendra fuhr zusammen.
Er sah nicht wie ein Laufbursche aus. Als sie die Zeitung auf den Tisch legte, fuhr er fort:
»Ich hoffe, Ihnen nicht lästig zu fallen. Aber die Tür war offen, deshalb bin ich einfach reingekommen.«
Er sprach so ungeniert, daß ihr die Antwort ebenso leicht von den Lippen kam:
»Das ist schon in Ordnung. Wir haben Sie erwartet, Mr. …?«
»Mein Name ist Ted Parks«, entgegnete er und lächelte wieder. »Und Sie sind Kendra Logan?«
»Aber ja. Wer hat Ihnen das gesagt?«
»Mr. Chase. Er kann die Leute gut beschreiben, doch diesmal hat er mich nicht genügend vorbereitet. Ich habe kaum erwartet, jemanden zu finden, der so … so lebhaft ist.«
Ted Parks ließ seinen Blick über sie gleiten. Wiederum dauerte dies bloß einen Augenblick, doch wurde sie sich in diesem Augenblick ihrer selbst bewußt: ihrer geschmeidigen Figur und ihrer dunkelblauen Augen. Sie hatte das Gefühl, als werde sie sozusagen entdeckt, als habe nie zuvor ein Mensch sie richtig betrachtet. Dann bückte er sich und hob eine Kiste auf die Schulter. »Wohin soll ich die Sachen bringen?«
Kendra öffnete die Küchentür. Sie hatte ihre Gelassenheit noch lange nicht wiedergefunden. Die Bewunderung der Leutnants hatte sie nicht weiter erregt, nachdem Mr. Chase sie auf den Mangel an Mädchen hingewiesen hatte. Dieser Ted Parks jedoch war so herrlich unverschämt, als sei er daran gewöhnt, unter einer Vielzahl von Mädchen seine Wahl zu treffen, von denen jedes eifrig bestrebt war, von ihm gewählt zu werden. Während er ihr in die Küche folgte, fragte Kendra: »Seit wann sind Sie schon in San Francisco?«
»Fast ein Jahr«, erwiderte er und fügte mit einem
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