Alles ist erleuchtet
aufrechte RABBi sieht auf seine Handflächen, wiegt sich vor und zurück und macht weitere Gesten des Betens.) Jankels Gesicht war von den Tränen seines Schluchzens verschleiert. (JANKEL macht Gesten des Schluchzens.) Uns ist ein Kind geboren!
(Dunkelheit. Der Vorhang schließt sich. Das zigeuner mädchen spreizt die Beine. Applaus mischt sich mit gedämpften Bemerkungen. Die Schauspieler bauen die Bühne für die nächste Szene um. Die Musik wird noch immer lauter. das Zigeunermädchen führt Safran an dessen leblosem Arm aus dem Theater, durch ein Labyrinth von schmutzigen Gassen, vorbei an den Süßigkeitenbuden beim alten Friedhof, unter den am brüchigen Portal der Synagoge herabhängenden Ranken hindurch, quer über den Schtetl-Platz - wo die beiden einen Augenblick lang durch den letzten Schatten getrennt sind, den die Sonnenuhr an diesem Tag wirft - , am bröckelnden Ufer des Brod und dann an der jüdisch-menschlichen Grenze entlang, unter sich wiegenden Palmwedeln, mutig durch die Schatten der Klippen, über die Holzbrücke-)
ZIGEUNERMÄDCHEN
Willst du etwas sehen, das du noch nie gesehen hast?
SAFRAN
(mit einer ihm bis dahin unbekannten Aufrichtigkeit) Ja. Ja. ( - durch die Blaubeer- und Brombeerdickichte in einen versteinerten Wald, den safran noch nie gesehen hat. Das zigeunermädchen stellt safran unter den Felsbaldachin eines gewaltigen Ahorns, nimmt seinen leblosen Arm, gestattet den von den steinernen Ästen geworfenen Schatten, sie mit einer Sehnsucht nach allem zu erfüllen, flüstert ihm etwas ins Ohr [was sie sagt, weiß nur mein Großvater], schiebt seinen leblosen Arm unter den Saum ihres dünnen Rocks und sagt) Bitte (geht in die Knie), bitte (lässt sich auf seinem leblosen Zeigefinger nieder), ja (Crescendo), ja (legt die Karamell-farbene Hand an den obersten Knopf seines weißen Hemdes und wiegt sich in den Hüften), bitte (Trompeten, Geigen, Pauken, Becken schmettern), ja (Dunkelheit breitet sich über die Abendlandschaft, der Himmel saugt sie auf wie ein Schwamm, Köpfe werden erhoben), ja (Augen werden geschlossen) , bitte (Lippen werden geöffnet), ja.. (Der Dirigent lässt seinen Taktstock, sein Buttermesser, sein Skalpell, seinen Thorazeigerfallen, das Universum, Schwärze.)
12. Dezember 1997 Lieber Jonathan!
Grüße aus der Ukraine. Ich habe gerade deinen Brief empfangen und ihn viele Male gelesen, besonders die Teile, die ich Klein-Igor vorgelesen habe. (Habe ich dir gesagt, dass er dein Buch liest, während ich es lese? Ich übersetze es für ihn, und ich bin auch dein Lektor.) Ich will nicht mehr äußern, als dass wir beide auf den Rest vorausschauen. Das ist etwas, über das wir nachdenken und sprechen können. Es ist auch etwas, über das wir lachen können, und das bedürfen wir.
Es gibt so viel, von dem ich dich informieren will, Jonathan, aber ich kann die Weise, wie ich das tun muss, nicht ergründen. Ich will dich von Klein-Igor informieren und dass er ein so erstklassiger Bruder ist, und auch über Mutter, die sehr, sehr bescheiden ist, wie ich dir schon oft gesagt habe, aber trotzdem ein guter Mensch und trotzdem Meine Mutter. Vielleicht habe ich sie nicht mit den Farben gemalt, mit denen ich sie malen sollte. Sie ist gut und nie schlecht zu mir, und so musst du sie sehen. Ich will dich von Großvater informieren und dass er jeden Tag viele Stunden Fernsehen sieht und dass er nicht mehr in meine Augen sehen kann, sondern auf etwas, das hinter mir ist, achten muss. Ich will dich von Vater informieren und dass ich keine Karikatur bin, wenn ich dir sage, dass ich ihn aus meinem Leben entfernen würde, wenn ich nicht so ein Feigling wäre. Ich will dich informieren, wie es ist, ich zu sein, und das ist eine Sache, von der du noch immer keine bleiche Ahnung hast. Vielleicht wenn du den nächsten Teil meiner Geschichte liest, wirst du verstehen. Es war der am meisten schwierige Teil, den ich bis jetzt komponiert habe, aber ich bin sicher, dass er nicht nahe so schwierig war wie die Teile, die noch kommen müssen. Ich habe lange herausgeschoben, was ich, wie ich wusste, tun musste, nämlich mit dem Finger auf Großvater zeigen, der auf Herschel zeigt. Du hast das ohne Zweifel festgestellt.
Ich habe viele bedeutende Lektionen aus deinem Schreiben gelernt, Jonathan. Eine Lektion ist, dass es unwichtig ist, ob man redlich oder zart oder bescheiden ist. Man muss einfach man selbst sein. Ich konnte nicht glauben, dass dein Großvater ein so minderwertiger Mann war, dass er
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