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Alles ist erleuchtet

Alles ist erleuchtet

Titel: Alles ist erleuchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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erzählte er der Mutter nie etwas, von dem er annahm, es könnte sie ärgern, sie schlechter von ihm denken lassen oder eifersüchtig machen.
    Möglicherweise aus demselben Grund erzählte er nie einem Freund von seinen Abenteuern, ebenso wenig wie er einer Geliebten von ihren Vorgängerinnen erzählte. Er hatte solche Angst, entdeckt zu werden, dass er sie nicht einmal in seinen Tagebüchern erwähnte, den einzigen schriftlichen Zeugnissen aus jener Zeit, bevor er nach dem Krieg in einem Lager für Displaced Persons meine Großmutter kennen lernte.
    Der Tag, an dem Rose ihm die Jungfernschaft raubte: Heute ist nicht fiel passiert. Vater hat eine Lieferung Bindfaden aus Rowno bekommen und mich angeschrien, als ich meine Pflichten vernachlässigte. Mutter nahm mich wie immer in Schutz, aber er schrie mich trotzdem an. Den ganzen Abend an Leuchttürme gedacht. Seltsam.
    Der Tag, an dem er zum ersten Mal mit einer Jungfrau schlief: Heute ins Theater gegangen. So langweilig, dass ich im ersten Akt gegangen bin. Acht Tassen Kaffee getrunken. Dachte, ich würde platzen. Bin aber nicht geplatzt.
    Der Tag, an dem er zum ersten Mal eine Frau von hinten nahm: Ich habe viel darüber nachgedacht, was Mutter über Uhrmachergesagt hat. Sie war sehr überzeugend, aber ich bin mir noch nicht sicher, ob ich mit ihr übereinstimme. Sie und Vater haben sich im Schlafzimmer angeschrien und mich die halbe Nacht wach gehalten, aber als ich dann endlich eingeschlafen bin, habe ich herrlich geschlafen.
    Nicht dass er sich geschämt oder gar gedacht hätte, er tue etwas Falsches, denn er wusste, dass es richtig war, richtiger als irgendetwas, das er jemals irgendeinen hatte tun sehen, und er wusste auch, dass man sich, wenn man das Richtige tut, oft ganz schlecht fühlt, und dass man, wenn man sich schlecht fühlt, wahrscheinlich das Richtige tut. Doch er wusste auch: Liebe hat etwas Inflationäres, und sollten seine Mutter und Rose und alle anderen, die ihn geliebt hatten, jemals voneinander erfahren, so würden sie sich zwangsläufig in ihrem Wert herabgesetzt fühlen. Er wusste, dass Ich Hebe dich auch bedeutet Ich liebe dich mehr, als irgendein anderer Mensch dich liebt oder je geliebt hat oder je lieben wird, und auch Ich liebe dich so, wie dich kein anderer Mensch liebt oder dich je geliebt hat oder dich je lieben wird, und auch Ich Hebe dich so, wie ich keinen anderen Menschen liebe oder je geliebt habe oder je lieben werde. Er wusste, dass es nach der Definition von Liebe unmöglich ist, zwei Menschen zu lieben. (Alex, das ist zum Teil der Grund, warum ich meiner Großmutter nichts von Augustine erzählen kann.)
    Die Zweite war ebenfalls Witwe. Er war noch immer zehn und wurde eines Tages von einem Schulkameraden zu einer Aufführung im Schtetl-Theater eingeladen, das auch als Tanzsaal und zweimal im Jahr als Synagoge diente. Der Platz auf seiner Eintrittskarte erwies sich als besetzt, und zwar von Lista E, die er als die junge Witwe des ersten Doppelhausopfers erkannte. Sie war zierlich, und einige dünne braune Strähnen hatten sich aus ihrem festen Pferdeschwanz befreit. Ihr rosafarbener Rock war verdächtig sauber und glatt - zu sauber, zu glatt - , als hätte sie ihn ein dutzend Mal gewaschen und gebügelt. Sie war schön, das stimmt, schön wegen der rührenden, peinlichen Sorgfalt, mit der sie sich um jede Kleinigkeit kümmerte. Wenn man sagen konnte, dass ihr Mann insofern unsterblich war, als seine Zellenergie in die Erde gesickert war, die Erde genährt und gedüngt und das Wachstum neuen Lebens ermöglicht hatte, so galt dasselbe für ihre Liebe, denn diese lebte weiter, verteilt auf Tausende von Dingen, die täglich zu tun waren - sie war, obgleich derart breit gestreut, so groß, dass Lista Knöpfe an Hemden nähte, die nie mehr getragen werden würden, dass sie dürre Zweige einsammelte und Röcke ein dutzend Mal bügelte.
    Ich glaube... , setzte er an und zeigte ihr seine Eintrittskarte.
    Aber hier steht doch, sagte Lista und zeigte ihm ihre, auf der dieselbe Nummer stand, dass das mein Platz ist.
    Aber das ist auch meiner.
    Sie schimpfte nun halblaut über die Absurdität dieses Theaters, über die Mittelmäßigkeit der Schauspieler, die Dummheit der Autoren, die hoffnungslose Lachhaftigkeit des Stückes - kein Wunder, dass diese Idioten noch nicht einmal imstande seien, für jeden Besucher einen Sitzplatz bereitzustellen. Dann bemerkte sie seinen Arm und war überwältigt.
    Anscheinend bleiben uns nur zwei

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