Alles ist mir nicht genug
»Ich kapier es immer noch nicht«, sagte sie.
»Nichts gegen Jenny, aber für mich war immer klar, dass Nate zu dir gehört.
Ihr wart das perfekte Paar. Absolut
schicksalsmäßig dafür bestimmt, euer Leben lang zusammenzubleiben.«
Komisch, dass
ausgerechnet Serena das sagte. Immerhin hatten sie und Nate in den Sommerferien
nach der zehnten Klasse zum ersten Mal Sex gehabt - ja, miteinander, und das
auch noch hinter Blairs Rücken. Man sollte meinen, wenn zwei Menschen
füreinander bestimmt gewesen wären, dann sie. Aber die Sache mit Nate hatte
sich, wie alle bisherigen Männergeschichten von Serena, als kurzes Strohfeuer
entpuppt. Mit Blair und Nate war es etwas anderes - die waren immer eine feste
Institution gewesen, so wie der Portier in der Lobby des Hauses auf der Fifth
Avenue, in dem Serena wohnte. Dass sie nicht mehr zusammen sein sollten, überstieg
Serenas Vorstellungsvermögen. Die beiden waren das lebende Beispiel für eine
funktionierende Zweierbeziehung gewesen, und dass jetzt doch alles so den Bach
runtergegangen war, machte Serena etwas Angst.
Blair griff
nach ihrem Champagnerglas und kippte es in einem durstigen Zug. Die beiden
Mädchen saßen allein an einem der mit weißem Musselin und schwarzem Taft gedeckten
großen runden Tische im feudalen Ballsaal des St. Ciaire Hotels, wo der
alljährlich im Dezember stattfindende Black-and-White-Ball bereits voll im
Gange war. Mädchen mit weißen Federn im Haar und bodenlangen schwarzen
Abendkleidern von Versace oder Dolce & Gabbana tanzten mit jungen Männern
in Smokings, die Tom Ford für Gucci entworfen hatte; über ihnen hing von der
Decke eine riesige mit schwarzen und weißen Rosenknospen dekorierte Kugel.
Blair
durchlebte gerade ein extremes Déjà-vu. Es war erst einen Monat her, dass ihre
Mutter einen polternden, verschwitzten und übergewichtigen Losertypen namens
Cyrus Rose geheiratet hatte. Die Hochzeitsfeier hatte genau hier stattgefunden,
in diesem Saal. Und das ausgerechnet an Blairs siebzehntem Geburtstag, dem Tag,
an dem sie eigentlich zum ersten Mal mit Nate hatte schlafen wollen. Sie hatte
sich stundenlang gestylt und dabei jede Sekunde ihrer bevorstehenden
Entjungferung mental durchgespielt. Leider hatte sie dann zufälligerweise
mitgekriegt, wie Nate in der Hotellobby mit der Kleinen aus der Mittelstufe
rummachte, und ihr war klar geworden, dass es letztendlich scheißegal war, wie
unwiderstehlich sie in ihrem schokobraunen Brautjungfernkleid von Chloe aussah,
wie seidig ihre Haare glänzten oder wie hoch ihre Manolo Blahniks waren. Nate
war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, die Ballonbrüste dieser
kraushaarigen Vierzehnjährigen abzufingern, um Blair auch nur zu bemerken.
Es war bei
weitem der schrecklichste Geburtstag in Blairs Leben gewesen, aber davon würde
sie sich nicht unterkriegen lassen. Sie nicht. Das lag ihr nicht.
Mhm, ja klar.
»Ich glaub
nicht mehr an Schicksal«, sagte sie zu Serena und knallte ihr Glas so heftig
auf den Tisch, dass beinahe der Stiel abgebrochen wäre. Sie fuhr sich mit den
Fingern durch die langen dunkelbraunen Haare, die erst wenige Stunden zuvor im
Red Door Salon von Elisabeth Arden von ihrem neuen Lieblingsfrisör Antoine
nachgeschnitten worden waren.
Serenas
meerblaue Augen blitzten spöttisch, als sie lachte. »Ach, und wieso redest du
dann immer davon, dass Yale dein Schicksal ist?«
»Das ist was
anderes«, behauptete Blair störrisch.
Blairs Vater
war Yale-Absolvent, und Blair hatte schon immer davon geträumt, später auch
dort zu studieren. Da sie zu den Jahrgangsbesten an der
Constance-Billard-Schule gehörte und bis zum Anschlag außerschulisch engagiert
war, hatte sie selbstverständlich angenommen, Yale würde sie mit Handkuss
aufnehmen. Aber dann war sie während ihres Auswahlgesprächs unter dem Druck
zusammengebrochen und hatte sich in
Blair-die-Meisterin-der-dramatischen-Pose-aus- der-Filmdose verwandelt. Sie
hatte dem Dozenten die herzzerreißende Geschichte ihrer Mutter vorgejammert,
die nach der Scheidung von Blairs schwulem Vater jetzt einen quasi Unbekannten
heiraten wolle, weshalb Blair es nicht erwarten könne, endlich auf die Uni zu
kommen, um dort ein ganz neues Leben zu beginnen. Zu guter Letzt hatte sie sich
sogar auf die Zehenspitzen gestellt und den Mann auf die eingefallene,
stoppelige Wange geküsst!
Blair sah sich
selbst gern als Heldin eines Fünfzigerjahre- Schwarz-Weiß-Films im Stil ihres
Idols Audrey Hepburn und das war ihr diesmal zum
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