0538 - Der Wechselbalg
Wie aus Badewannen geschüttet stürzte Regen auf das Gelände nieder. Der dichte Vorhang aus windgepeitschtem Wasser sorgte dafür, daß die Sicht nicht weiter als ein paar Meter weit reichte.
Kerr faßte Zamorra beim Arm und gestikulierte. »Du links, ich rechts«, stieß er hervor. »Und sieh zu, daß du es nicht vermurkst! Brennans Leben geht auf jeden Fall vor! Notfalls müssen wir uns auf faule Kompromisse einlassen!« Zamorra entzog sich dem Zugriff des Freundes. »Wofür hältst du mich? Für Attila, den Hunnenfürsten?«
Kerrs Augen leuchteten schockgrün auf, und dieses Leuchten verdrängte seine ursprüngliche Augenfarbe und wurde immer greller. »Das hier ist eine Polizeiaktion, vergiß das nicht!«
Er stürmte los. Zamorra sah ihn hinter dem dichten Regenvorhang verschwinden. Er war bis auf die Haut durchnäßt. Die Kleidung klatschte und klebte an seinem Körper; es wäre vielleicht vernünftiger gewesen, sie einfach auszuziehen.
Er spurtete los. Nach links.
Merlins Stern reagierte nicht. Also griff der Dämon nicht an. Er schien Zamorras Anwesenheit noch nicht registriert zu haben.
Deckung gab es nicht. Das Gelände vor dem zerfallenen Haus war frei und offen. Der einzige Sichtschutz war der niederprasselnde Regen. Nur konnte Zamorra so weit weniger sehen als der Dämon, der über ganz andere Möglichkeiten der Wahrnehmung verfügte.
Das Gras und der Boden waren rutschig. Zamorra glitt aus, konnte sich nicht mehr abfangen und landete mit Händen und Knien auf dem feuchten, durchweichten Boden.
Über ihm flirrte plötzlich Licht.
Ein helles, gleißendes Blau, das immer intensiver und leuchtender wurde, um dann förmlich als Feuerball in alle Richtungen auseinanderzufliegen. Unwillkürlich preßte Zamorra sich noch flacher auf den Boden, versuchte seine Augen zu schützen. Das unheimliche blaue Licht hüllte ihn ein, durchdrang ihn.
Warum aktivierte Merlins Stern nicht das grüne Schutzfeld? Identifizierte es dieses Licht nicht als dämonischen Angriff?
Zamorra hatte das Gefühl, das Licht durchsuchte ihn. Er wurde sondiert, durchleuchtet wie mit Röntgenstrahlen. Jemand - wer sonst als der Dämon? -holte sich Informationen über Zamorras organischen Aufbau, über seine Fähigkeiten - und wurde von der mentalen Sperre gestoppt, die verhinderte, daß Zamorras Gedanken von einem Fremden gelesen werden konnten!
Genau das aber hatte der Unheimliche vorgehabt!
Und das Amulett reagierte nicht, ließ diese Sondierung einfach zu!
Zamorra verwünschte die Zauberscheibe. Seit Leonardo deMontagne sie für ein paar Monate wieder in seinen Klauen gehabt hatte, war sie unzuverlässig geworden!
Augenblicke später war das Licht wieder verschwunden…
Zamorra rollte sich auf den Rücken. Der Regen prasselte ihm jetzt ins Gesicht. Von der fremden Magie war nichts mehr zu spüren. Vorsichtig richtete sich der Dämonenjäger wieder auf.
Es gab keine Verständigungsmöglichkeit mit Kerr. Sie hatten nicht genug Zeit gehabt, den Einsatz vorzubereiten. Sonst hätte der Scotland-Yard-Inspektor sicher für Walkietalkies gesorgt. Doch sie hatten sehr schnell hierher kommen müssen. In spätestens einer halben Stunde war es dunkel… Und dann war Gus Brennan verloren!
Vorher mußten sie den Dämon ausgeräuchert und sein Opfer befreit haben!
Zamorra konnte das Haus nur als dunklen Umriß sehen. Licht brannte nicht; das zumindest hätte er bemerken müssen. Er sah aber auch keinen blauen Lichtschein auf der anderen Seite, wo Kerr stecken mußte. Interessierte sich der Dämon nicht für den Inspektor, oder benutzte er bei ihm eine andere Methode der »Untersuchung«? Vielleicht, weil er erkannt hatte, daß Kerr zur Hälfte Silbermond-Druide war?
Der Dämonenjäger näherte sich dem Haus von der linken Seite. Er rechnete damit, jeden Moment gestoppt zu werden. Durch einen Angriff oder eine Erpressung. Immerhin hatte der Dämon mit Gus Brennan ein Faustpfand, das nicht zu übertrumpfen war. Nicht nur der Superintendent, sondern auch die Presse würde Inspektor Kerr und damit auch Zamorra die Hölle heiß machen, wenn dem Jungen etwas passierte.
Garantiert steckten Reporter in der Nähe, nur trauten die sich bei diesem prachtvollen Sauwetter nicht aus ihren Autos heraus. Dadurch konnten sie die Aktion allerdings auch nicht behindern, indem sie fotografierend oder filmend im Wege standen. Sie interessierte jetzt nur noch das Endergebnis. Sie würden wie die Aasgeier aufkreuzen, wenn Zamorra und Kerr hier aufgeräumt
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